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Schlagmann

Schlagmann

Titel: Schlagmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evi Simeoni
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Kessel über der Spüle, setzte ihn auf und schaute mich nach einer Tasse um. Neben einer auf einem Holzgestell aufgereihten Batterie von Messlöffeln stand eine Küchenwaage aus Metall mit einer verchromten rechteckigen Schale. So eine gab es bei uns auch. Meine Mutter benutzte sie in der Weihnachtszeit zum Plätzchenbacken, und das metallische Sägen, wenn die Gewichte auf der Querleiste eingestellt wurden, war mir seit langem vertraut. Merkwürdig fand ich, dass daneben eine weitere Waage stand, eine Schüssel auf einer Wiegefläche und darüber in einem Oval die Skala, wie in einem Kinderkaufladen. Daneben eine Briefwaage mit schwarzem Eisengestänge und einer Messingschale. Alle drei Geräte schienen benutzt zu werden, ich sah Spuren von Haferflocken und andere, schwer zu definierende Krümel, auf der Briefwaage ein paar Zuckerkristalle.
    Eine Tasse entdeckte ich immer noch nicht. Stattdessen ein hohes Apothekerglas mit einer Einteilung nach Millilitern. Einen Messbecher aus Plastik, den man laut Aufschrift für Wasser, Mehl oder Linsen benutzten konnte. Wozu er das wohl alles brauchte? Zwischen seinen vielen Schweigeminuten hatte er mir gesagt, dass er Verfahrenstechnik studierte. War das hier sein Versuchslabor? Eher schien es mir ein Kalorien-Zuteilungssystem zu sein. Leistungssportler, sagte ich mir in all meiner Ahnungslosigkeit, hatten offenbar einen wahnsinnig langweiligen, aber absolut rigiden Speiseplan.
    Ich öffnete die Tür des Hochschranks, fand einen Becher mit der Aufschrift: »Lübecker Sparkasse« und brühte mir ein wenig Kaffee auf. Als ich den ersten Schluck trinken wollte, verbrannte ich mir die Zunge. Er schmeckte bitter und gleichzeitig fad, und ich schüttete den Rest der braunen Flüssigkeit in die Spüle.
    Ich war ratlos. Die Stille und die nachlässige Kargheit dieser Wohnung machten mich nervös. Schließlich schüttelte ich den Schlafsack auf und legte ihn über eines der Sitzkissen. Im Flur auf dem Boden lag ein graues Telefon. Ich holte Notizbuch und Schreiber aus meiner Tasche und schrieb die Nummer ab, die mit Kuli auf der Wählscheibe notiert war. Dann zog ich meinen Rock an, nahm meine Tasche und ging. Arnes Wohnungstür schlug hinter mir ins Schloss, das Geräusch hallte im Treppenhaus wider. Ich erschrak, als plötzlich die Tür der Nachbarwohnung aufging und das Gesicht einer Frau erschien. Durch den Spalt warf sie einen dampfenden Putzlappen auf den Steinboden. Als sie mich bemerkte, blickte sie überrascht auf. Ich las ihren Namen auf dem Türschild und sagte höflich: »Guten Tag, Frau Ringel.« Sie wischte weiter.
    Als ich im Auto saß, war ich für ein paar Minuten außerstande, den Motor zu starten. Ich überlegte, ob ich eigentlich noch richtig tickte. Der Mann ließ mich einfach in seinem Wohnzimmer liegen wie eine gelesene Zeitschrift. Wie dumm von mir, mich angeboten und ihm die Chance zu einer Zurückweisung gegeben zu haben. Aber vielleicht, dachte ich dann wieder, hatte er sich einfach nicht getraut. Kein Grund, beleidigt zu sein. Ich spürte mein Herz wieder weich werden. Seine Schüchternheit forderte mich heraus – ich würde ihn schon noch erobern.
    Am Abend rief ich ihn an und fragte ihn, ob er sein Lederarmband wiederhaben wollte. Er wollte. Ich sagte ihm, er könne es nur im Kino bekommen. Also trafen wir uns und schauten zusammen einen Liebesfilm, der ihm sicher nicht gefiel, jeder die Hände auf seinen Knien. Sein Armband hatte er wortlos genommen und sofort umgelegt.
    Es dauerte lange, bis er mich das erste Mal absichtlich berührte. Wochenlang. Ich hatte mir inzwischen vielerlei Gründezurechtgelegt, wieso er so zurückhaltend war. War er schwul? Oder fromm?
    Wir verabredeten uns ab und zu, gingen ins Kino oder in die Eisdiele, allerdings ließ er sich von mir höchstens eine Tasse Kaffee aufdrängen, von sich aus bestellte er selten etwas. Es machte ihm nichts aus, mir ohne etwas zu essen oder zu trinken gegenüberzusitzen. Manchmal nahm ich ihn mit zu einer Uni-Fete und machte großen Eindruck, zumindest optisch. Allerdings redete er auch dort nicht viel. Er setzte sich abseits und zog seine Antennen ein, während ich irgendwo anders lachte oder schwatzte oder tanzte.
    Nach ein paar Wochen erreichte ich, dass er mit mir Hand in Hand ein Stück die Straße entlangging, ohne rot zu werden.
    Mit der Zeit gewöhnte ich mir an, ihn freitags mit dem Auto vom Trainingsstützpunkt abzuholen, nach einer Weile grüßten mich die Ruderer und ihre Freundinnen

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