Schlagmann
bedeutete ihm mit einer Geste, er solle die Kopfhörer abnehmen, und das tat er dann auch.
Ich fragte ihn, ob er nichts essen wolle.
Er schaute weg. Dann fragte er:
»Wieso?«
»Wieso? Drüben gibt es Mittagessen.«
Er rutschte den Sessel wieder hinunter und nahm seine lasche Haltung wieder ein.
»Der Arzt hat mir das Training verboten. Also brauche ich auch nichts zu essen.«
»Von Hungern hat der Arzt sicher nichts gesagt.«
Arne reagierte nicht mehr. Er hatte sich die Kopfhörer wieder über die Ohren gezogen und war weg.
Um ehrlich zu sein, war es Arne und mir völlig egal, wie die anderen bei der Weltmeisterschaft abschnitten. Wir fuhren getrennt vom Rest der Mannschaft im Zug nach Hause, bedrückt und übellaunig und diesmal beide sehr still. Kurz vor dem Ziel überlegten wir, wie wir zurückschlagen würden. Wir beschlossen, uns für die Ergometer-Meisterschaften zu melden, ein Wettbewerb für echte Tiere. Das war unsere Antwort. Wir trainierten an sechs Tagen in der Woche, im Morgengrauen und in der Abenddämmerung. Wir stemmten Gewichte und bolzten Kondition bis weit über die Schmerzgrenze hinaus.
Privat schien es für Arne in jener Zeit besser zu laufen als je. Eines nebligen Herbstnachmittags kam Anja in einer Ente angebrummt und holte den Schlagmann vom Training ab, und ich musste erst einmal Luft holen. Sie sah super aus und bewegte sich auffallend selbstsicher. Ich dachte: Alle Achtung!
Alle starrten sie an. Wie kam Arne an ein solches Mädchen? Sie ging auf uns zu und sagte:
»Hallo, ich bin Anja.«
War ich neidisch? Eher erleichtert, dass er eine Freundin hatte wie wir anderen auch – die Braven immer dieselbe, Super-Ali mal diese, mal jene. Es war das erste Mal, dass Arne mit einer Frau aufkreuzte. Wir wussten doch, dass er, sobald er mit einem Mädchen zusammentraf, üblicherweise in quälende Verlegenheit verfiel. Nun also Anja. Sie winkte Arne, er lief mit linkischen Schritten zu ihr.
Je mehr wir über Anja erfuhren, desto mehr fragten wir uns, was sie von ihm wollte. Ein hübsches, verwöhntes Mädchen aus einer guten Familie mit Geld und Verstand. Und Arne, der verkrampfte Jüngling. Es wäre leicht für Anja gewesen, sich einen schmucken Mediziner wie mich zuzulegen, der ihr aus der Hand fraß. Sie hätte es gut bei mir gehabt. Ich war nicht mehr der Sprinter, der den Frauen hinterherrennt und, wenn er ans Ziel kommt, nicht weiß, was er mit ihnen anfangen soll. Ich hatte ein System entwickelt, das Frauen gefiel: zuhören, die Frau als Persönlichkeit sehen, erfassen, was sie sagt, und darauf eingehen. Der Erfolg war verblüffend, wenn er auch nicht lange vorhielt. Nach einer Weile warfen sie mir vor, es handele sich bei meinem angeblichen Verständnis nur um eine Masche. Aber bis dahin hatte ich schon viel Spaß gehabt. Als geübter Frauenforscher wusste ich schnell, was Anja wollte: etwas, worum sie kämpfen konnte. Und einen Typen, der optisch etwas hermachte. Und wirklich: Die beiden sahen aus wie ein Traumpaar aus der Fernsehwerbung.
Als ich Arne in Anjas Auto steigen sah mit seiner gleichmütigen Miene, schöpfte ich Hoffnung für sein verödetes Innenleben. Vielleicht war sie gut für ihn und kanalisierte seine überschüssigen Kräfte?
Von nun an tauchte sie regelmäßig in seiner Nähe auf. Ein besonders lebendiges Paar waren sie allerdings nicht. Arne und Anja saßen oft stumm und schön beieinander wie zwei Filmstars, die auf dem Set auf das Zeichen für Aufnahme warteten. Gleich, so schien es, würde Leben in sie kommen, und sie würden anfangen zu agieren und zu reden. Aber das Zeichen blieb aus.
Arne änderte sich nicht. Wir waren beide besessen vom Training in diesem Herbst. Aber er überschritt alle Grenzen – auf sein angeschlagenes Knie nahm er kaum Rücksicht, er legte lediglich eine Bandage an. Manchmal schuftete ich hinter ihm im Zweier, der Trainer rief uns vom Motorboot aus über sein Megafon seine heiseren Anweisungen zu, und er reagierte nicht mehr. Er ruderte weiter wie ein Roboter mit verschlossener Miene, in stoischem Rhythmus, und ich war gezwungen, mitzurudern. Ich musste eine unangenehme Wut in mir niederkämpfen. Später zur Rede gestellt, sagte Arne, er sei nur fürs Ziehen zuständig und sonst für gar nichts. Schon gar nicht für überflüssige Diskussionen auf dem Wasser. Aber unsere Leistung blieb top, und das war mir das Wichtigste. Arne gewann die Ergometer-Meisterschaft, ich wurde Dritter, aber das stellte uns nicht zufrieden, das
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