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Schlagmann

Schlagmann

Titel: Schlagmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evi Simeoni
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verschwunden.
    Ich drehte meinen Kopf und schaute auf seinen atmenden Rücken, sah die kräftigen Stränge seiner Muskeln, das in zwei dicke Wülste eingebettete Rückgrat, sah die herausstehenden Hüftknochen. Betrachtete seine breiten, im Liegen verbogenen Schultern, seine glatte, beinahe samtig weiße Haut. Keine Ahnung, was für ein Wesen ich da vor mir hatte. Ich hätte ihn so gerne gepackt und geschüttelt und wollte ihm all das geben, was ich anderen verweigerte, ihn mit all dem überschütten, was ich bei anderen dosierte.
    Er drehte sich um und lächelte. Dann angelte er nach seiner Lederjacke und deckte mich damit zu.

ALI,
    Zusammenfassung einer Tonbandaufzeichnung, Dienstag, 13. Mai 2008
    Als Anja zum ersten Mal beim Training auftauchte, waren wir beide schlecht drauf, Arne und ich. Wir hatten beide ein Jahr lang pausiert. Arne wollte sich auf sein Studium konzentrieren – er musste eine Menge Stoff lernen in seinem Fach, Verfahrenstechnik, glaube ich. Außerdem wollte er sein Knie ausheilen, das ihm wegen eines Knorpelschadens zu schaffen machte. Mir selbst fehlte damit für ein vernünftiges Training und einen überzeugenden Auftritt bei den Frühjahrstests der Zweierpartner, und einen anderen wollte ich mir nicht suchen. Also reduzierte auch ich Aufwand und Einsatz und trieb mein Medizinstudium voran. Wir machten vorübergehend Platz für die zweite Reihe, den B-Kader. Wir nannten sie B-Leute. Das war ganz schön arrogant, aber so ist das im Sport. Seit dem Olympiasieg glaubten wir, Athleten der allerersten Kategorie zu sein.
    Einige von uns hörten gleich nach dem Gewinn der Goldmedaille auf, aber Arne und ich hatten vor, zurückzukehren und das Ganze zu wiederholen. Wir waren beide erst 27, doch es klappte nicht so, wie wir es geplant hatten. Natürlich saßen wir im Sommer wieder im Achter, doch es lief nicht.
    Die Weltmeisterschaft endete für uns beide lange vor dem Finale. Wir fuhren mit und hielten uns immer noch für die Größten, aber kurz vor dem Vorlauf nahm der Trainer uns zur Seite. Er gab sich Mühe, es uns schonend beizubringen, aber natürlich gibt es keine nette Art, jemandem zu sagen, dass er aus dem Boot fliegt. Er hatte natürlich seine Gründe, doch wir sahen sie nicht ein. Er hielt uns für zwei Risikofaktoren. Uns! Die Gold-Ruderer! Arne, den Chef, und mich, den großen Ali.
    Ich hatte mir im Trainingslager eine schwere Erkältung eingefangen und nicht auskuriert. Der Mannschaftsarzt hatte erklärt, dass ich mich nicht extrem belasten durfte. Arne hatte verschwiegen, dass seine Knieschmerzen wiedergekommen waren, doch der Physiotherapeut bemerkte bei der Massage eine Schwellung und meldete die Sache dem Trainer. Der war gleichzeitig sauer und besorgt.
    »Ihr seid beide verrückt«, sagte er. »Ihr riskiert eure Gesundheit.«
    Er verstand nicht. Wir hatten schon ein ganzes Jahr verloren. Und jetzt kam ein zweites hinzu. Wir wollten endlich wieder gewinnen.
    Ich redete mir mühsam ein, dass man nicht immer Erfolg haben konnte. Immerhin war mir das Pech in einem Jahr widerfahren, in dem keine Olympischen Spiele anstanden – das war nicht ganz so schlimm. Erst zwei Jahre später war es wieder so weit. Dann greifst du an, sagte ich mir. Also versuchte ich, die anderen wenigstens moralisch zu unterstützen, beteiligte mich an den Mannschaftssitzungen und gab den abgeklärten Routinier.
    Arne aber verstummte wieder einmal völlig. Fünf Tage lang schlich er mit hängendem Kopf um das Hotel herum. Er versteckte sich unter der Kapuze seiner Trainingsjacke, aus der die Kabel seiner Kopfhörer heraushingen. Sein Walkman schien ununterbrochen in Betrieb. Wenn einer ihn fragte, was er da hörte, gab er keine Antwort, aber ich wusste es trotzdem: Nirvana.
    Zum Essen erschien er nicht mehr.
    Ich ließ ihn erst einmal in Ruhe, aber nach zwei Tagen begann ich mir Sorgen zu machen und suchte nach ihm. Er musste doch Hunger haben. Ich fand ihn im Gemeinschaftsraum vor dem laufenden Fernseher. Er hing weit heruntergerutscht aufeinem Polstersessel. Ich wunderte mich, dass der Musikkanal MTV eingeschaltet war, irgendeine Disco-Nummer, während gleichzeitig sein Walkman lief. Und zwar so laut, dass ich trotz der Kapuze die Bässe hören konnte. Er sah aus, als wäre sein Geist von einem Ufo abgeholt worden und nur noch die Hülle da.
    Ich schüttelte ihn am Arm, er erschrak und richtete sich in seinem Sessel auf. Er sah mich mit aufgerissenen Augen an, so als würde er mich nicht wiedererkennen. Ich

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