Schlagmann
auf dem Parkplatz. Als er an einem Freitagnachmittag im März in meine Ente gestiegen war, schlug ich ihm vor, übers Wochenende nach Holland an die See zu fahren, wo meine Eltern ein Ferienhäuschen hatten. Meine Reisetasche lag schon gepackt auf dem Rücksitz. Es war ein Frühlingstag zum Lachen und Durchatmen, und ich dachte wieder mal: Jetzt oder nie.
Zu meiner Verwunderung nickte er und sagte, er wolle nur noch ein paar Sachen aus seiner Wohnung holen. Mit offenem Verdeck brachte ich ihn hin, nach einer Weile kam er mit einer Plastiktüte vom Spar-Markt wieder, in die er offenbar sein Waschzeug gesteckt hatte. Er trug Jeans und seine Motorradjacke. Sie war beinahe ein Körperteil von ihm. Er warf seine Tüte auf den Rücksitz und stieg ein.
Als meine Eltern das Ferienhäuschen in Holland vor ein paar Jahren verkauften, habe ich geweint. Sie hatten ja recht, in den letzten Jahren war keiner von uns mehr hingefahren, denndie Ruhe von damals war dahin, seit direkt daneben ein großes Dünenhotel gebaut worden war. Aber der Verlust tat trotzdem weh.
Damals stand das zweistöckige Holzhäuschen ganz allein in den Dünen. Es hatte nur ein Wohnzimmer und eine Küche im Erdgeschoss und zwei Schlafzimmer oben und war vom salzigen Wind ziemlich ramponiert. Die weiße Farbe blätterte von den Außenwänden, die Haustür klemmte, und die Fensterläden quietschten. Aber es war hell und trocken, und ich fühlte mich darin geborgen, gerade weil draußen eigentlich immer der Wind pfiff. Es hatte sogar einen offenen Kamin aus Backsteinen, den ich immer wieder erwartungsfroh anzündete, der aber meistens nur das Zimmer verqualmte. Am schönsten war die Terrasse, größer als das ganze Haus und durch eine dicke Glasscheibe vom Wind geschützt. Von dort aus konnte man einen blauen Streifen vom Meer sehen, und darüber den Nordseehimmel mit seinen rasenden Wolken.
Hier ist es passiert. An einem Samstagnachmittag.
Wir waren draußen gewesen, der Wind hatte uns durchgeweht, und Arne schien Freude daran zu haben, durch den Sand zu stapfen. Er machte Storchenschritte mit seinen langen Beinen, und ich musste hüpfen, um ihm in seinen Fußstapfen zu folgen. Ich schrie immer wieder lachend:
»Warte auf mich!«
Und er drehte sich nach mir um und rief nur so zum Spaß:
»Mich kriegst du nicht.«
Wir zogen die Schuhe aus, krempelten die Hosenbeine hoch und liefen durch den kalten Wellensaum des Meeres. Die Möwen schrien.
Hinter Arne stand die Sonne schon tief, er imitierte einen Schattenboxer. Ich versuchte, mit den Füßen auf seinen Schatten zu treten, und er wich immer wieder geschickt aus. Das Meerrauschte laut, der Wind riss an meinem Halstuch, das sich plötzlich löste und davonflog. Arne lief hinterher, rannte ins flache Wasser und brachte es dann triefend nass zurück. Ich wischte mit der Hand die Spritzer von seiner Motorradjacke und dann auch aus seinem Gesicht.
Es war, als hätte jemand für uns Licht gemacht an diesem Nachmittag, und wir tollten herum und waren ein ganz normales, verliebtes Paar.
Ich sah ihn über den gelben Sand laufen und dachte: Das schaffst du. Es gibt eine Zukunft mit ihm.
Es fühlte sich an wie Glück.
Zurück im Häuschen machte ich Tee, und wir rubbelten uns gegenseitig die Füße warm. Ich saß auf dem Boden, er auf einem Sessel, ein paar feuchte, blonde Strähnen waren ihm ins Gesicht gefallen, und er schien ganz bei sich zu sein.
Er sagte leise:
»Lütt Deern …«
Ich sah ihn an und plötzlich zerriss mir beinahe das Herz.
Er spürte meinen Blick, runzelte die Stirn und sagte ungehalten: »Schau mich nicht an wie ein Insektenforscher.«
Und dann passierte es. Er zog seine Motorradjacke aus und warf sie auf den Boden. Dann legte er sich auf das harte Sofa, langte zu mir herüber und strich vorsichtig mit seiner Hand über meine. Den Rest überließ er mir.
Als er über mir lag, schien es, als verwandelte er sich in ein um Liebe ringendes Kind. Ich erschrak über seine Inbrunst und Heftigkeit. Er erinnerte mich an einen Ertrinkenden, der ohne Kontrolle um sich schlägt. Als er kam, schrie er, und ich bekam ernstlich Angst, er würde von einem epileptischen Anfall geschüttelt. Danach rollte er sich neben mich und drehte mir den Rücken zu. Ich starrte an die Decke. Dann spürte ich, dass Tränen aus meinen Augen liefen, die Schläfen entlangrannen undins Kissen sickerten. Etwas in meinem Brustkorb zog sich zu einem schweren Klumpen zusammen. Die Leichtigkeit des Nachmittags war
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