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Schlagmann

Schlagmann

Titel: Schlagmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evi Simeoni
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Trainer und ein Assistent zu ihm und hielten ihn und das Fahrrad fest, um ihn am Herunterfallen zu hindern. Ich sprang auf, packte meine Plastikflasche, in der sich noch ein Rest meines Isotonen-Getränks befand, und lief zu ihm. Er war inzwischen mit Hilfe der Trainer vom Fahrrad abgestiegen und saß auf dem Boden. Ich streckte ihm die Flasche hin.
    »Trink was, Arne.«
    Er hatte nicht einmal mehr genug Energie, um nach dem Getränk zu greifen. Ich sah, wie seine Lippen zitterten. Der Speichel rann ihm über das Kinn.
    Die Bestzeit konnte er vergessen. Der Sturz hatte ihn viel zu viel Zeit gekostet.
    Ich wollte die Flasche an seine Lippen setzen, aber genau in diesem Moment fing er an zu würgen.
    »Arne«, sagte der Trainer erschrocken und fuhr ihm mit der Hand über den Rücken. »Sei ganz ruhig. So wichtig ist das doch nicht.«
    Er schlug aber trotz seiner Schwäche mit der Faust auf die Straße, immer wieder, dann schaute er mich plötzlich mit klarem Blick an und sagte langsam und deutlich:
    »Ich hasse dich.«
    Am selben Abend betrank er sich so systematisch, wie er sonst nur sein Krafttraining anging. Wir sollten am nächstenTag nach Hause fliegen, hatten ein paar Stunden frei und gingen in eine der Touristenkneipen an einer belebten Straße. Einer kam auf die Idee, Sangria zu bestellen. Der Wirt war Deutscher und erklärte, er sei Sportfan. Zu Arne sagte er: »Du bist doch dieser Arne Hansen, der Olympiaschlagmann.« Vor lauter Freude spendierte er uns ständig neue Runden. »Heute wird mal Pause gemacht vom Wassersport«, sagte er jedesmal, wenn er einen neuen Krug Sangria auf den Tisch stellte, und wir nickten nach einer Weile nur noch blöde und fingen schließlich zu grölen an.
    Seit diesem Abend habe ich nie mehr auch nur einen Tropfen von diesem Zeug herunterbekommen. Und das, obwohl ich viel langsamer trank als Arne, lange vor ihm aufhörte und ins Hotel zurückging, als er immer noch verbissen weitersoff. Beim letzten verschwommenen Blick auf ihn sah ich, dass er eine Zigarette in der Hand hielt.
    Als ich am frühen Morgen mit schmerzendem Kopf und einem grässlichen Geschmack im Mund aufwachte, bemerkte ich, dass Arne die ganze Nacht nicht ins Zimmer gekommen war.
    Wir fanden ihn zusammengerollt und blau gefroren am Strand, schüttelten ihn, bekamen ihn aber kaum wach. Mühsam versuchten wir, ihn mit den bloßen Händen warm zu rubbeln, bevor der Trainer ihn sah. Arne stank nach Alkohol und war kaum ansprechbar. Ich schrie ihn an:
    »Du Idiot!«
    Er schüttelte lallend den Kopf. Die Zeit drängte, denn gegen Mittag ging unser Flugzeug, also zerrten wir ihn hoch. Irgendwie schafften wir es, ihn mitzuschleppen und in den Bus zu setzen. Sam packte seine Sporttasche und trug sie hinterher. Arne zitterte vor Kälte auf seinem Fensterplatz, er hatte die Kapuze über den Kopf gezogen, über den Trainingsklamotten trug er seine schwarze Motorradjacke, die vor Dreck starrte. SeineZähne klapperten. Er sagte nichts. Der Trainer auch nicht. Ich kauerte mich auf den gegenüberliegenden Sitz und versuchte, mich so wenig wie möglich mit ihm zu befassen. Mir war selbst noch übel. Ich drehte mich zum Fenster und lehnte meine schmerzende Stirn gegen den kühlen Rahmen. Ich machte mir Sorgen um unseren Zweier. Wenn Arne so weitermachte, würde uns das irgendwann einmal Leistung kosten. Man lumpt im Leistungsport nicht ungestraft. Und ich hatte keine Lust, seine Rechnungen mitzubezahlen.
    Seit dem Trainingslager fiel mir hin und wieder auf, dass er nach Alkohol roch, wenn er zum Morgentraining erschien. Es war klar, dass er ab und zu trank. Allerdings nicht sehr oft. Ich dachte: Das verträgt er schon.
    Ich bemerkte, dass er sich an solchen Tagen nicht mit den vorgegebenen Trainingseinheiten zufriedengab, sondern nachmittags immer noch zusätzlich in den Kraftraum ging. In die Folterkammer. Wenn die anderen schon längst geduscht hatten und auf ihre Fahrräder gestiegen waren, hörte man drin immer noch die Eisenhanteln klirren. Der Kraftraum galt uns als ein Ort des Leidens und der Kasteiung. »Rudertraining heißt wehtun«, sagten wir. Drin stank es unauslöschlich nach dem Schweiß unzähliger Ruderergenerationen. Die Hantelstangen waren aus schwarzem Eisen, von den Scheiben blätterte das blaue Emaille ab, und die Polster auf den Bänken waren verschlissen, an manchen Stellen schauten Schaumgummi und Holzwolle heraus. Immer wieder zog man sich dort lästige Splitter in die Kleidung. Es gab Sandsäcke und

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