Schlagmann
trainieren und rudern: Ich musste meine Position ständig mit Argumenten verteidigen.
Dass der Trainer mich später trotzdem zu Arnes Nachfolgerals Schlagmann machen wollte, hatte viel mit Arne selbst zu tun. Er war nicht nur mein Partner, er war auch mein Lehrer. Trainingsdisziplin und Konzentration habe ich von ihm gelernt. In den gemeinsamen Jahren übernahm ich blind sein Timing und seine perfekte Ausgestaltung der Schläge. Ich schaffte es, meine eigene Labilität durch die Erfahrung mit ihm zu überwinden. Ich hatte jahrelang die Gelegenheit, ihn zu studieren. Ich wusste, wie er sich bewegte und wie er auf dem Wasser dachte. Es war mir möglich, in den Ruderer Arne hineinzukriechen wie in eine zweite Haut. Mir war von Anfang an klar, wie ungewöhnlich dieses Zusammenspiel war, zumal er zehn Zentimeter größer war als ich und wir körperlich nicht ideal harmonierten. Auf andere Weise taten wir das aber doch: Wir beide, Arne und Ali, waren miteinander verbunden. Zwei Menschen, die gemeinsam einem vorgezeichneten Weg zu folgen schienen, der bis zum olympischen Gold führte und sich hinterher immer mehr verwirren sollte.
Kumpel? Freunde? Hasste er mich wirklich?
Heute ist mir klar, dass man zusammengehören kann, ohne es überhaupt zu wissen. Und dass man kommunizieren kann, ohne ein Wort zu sagen.
Die Welt ist voller Zweierbeziehungen. Aber niemand passt wirklich zu irgendjemandem. Da habe ich keine Illusionen mehr. Ich habe eine Frau und zwei Kinder, eine Oberarztstelle im Krankenhaus, einen kleinen Bauch, und mir gehen langsam die Haare aus. Auf dem Konto liegen ein paar Ersparnisse, und meine Frau kann vor ihren Freundinnen damit angeben, dass wir alle zusammen zweimal im Jahr in den Urlaub fahren. Damit habe ich alle meine gesellschaftlichen Pflichten erledigt. Wenn ich ehrlich sein soll, schaue ich mir mein Leben mittlerweile mit ähnlich großem Interesse an wie unsere Wohnzimmertapete. Manchmal denke ich an Arne und fürchte, dass ich imGrunde genauso bin wie er. Ein Fremder. Nur dass ich genügend Abwehrkräfte habe, um nicht durchzuknallen. Nicht durchzuknallen – das ist meiner Meinung nach schon die wichtigste Aufgabe im Leben.
Es gibt den Arne in mir. Und das ist noch nicht alles: Manchmal wütet Arne in mir, und ich werde unendlich sauer auf ihn. Er hat sich einen Dreck um mich geschert. Er hat sein Ding gemacht, ohne ein einziges Mal zu fragen. Er hat sich von uns zurückholen lassen ins Leben, wenn er abgedriftet war. Er hat uns sich selbst rücksichtslos angetan. Und trotzdem hatte er Anja. Ihr traute ich damals zu, dass sie einen Mann auch aus der tiefsten Schwermut erlösen konnte. Sie mag eigene Probleme gehabt haben, das konnte man an ihrem wirren Kleidungsstil sehen. Vielleicht ging es ihr auch einfach nur zu gut. Aber je länger sie mit Arne zusammen war, desto normaler schien sie zu werden. Dass ihr Vater Bankier war und außerdem noch ein echter Graf, wirkte irgendwann farblos im Vergleich zu Arnes Schicksal.
Ich warf noch einen schnellen Blick auf Anja und überlegte, wie ich die Augenblicke nutzen konnte, bis Arne auftauchte. Sie lächelte mich an.
»Ich fände es nett, wenn wir Freunde sein könnten.«
»Du meinst, du und ich.«
»Ich meinte Arne und mich, dich und deine Freundin. Du hast doch eine?«
Bei dieser Frage war ich endlich wieder in sicherem Fahrwasser.
»Mindestens eine.«
»Wollen wir dann nicht einmal etwas zusammen unternehmen?«
»Wie? Mit Arne? Der unternimmt doch nichts.«
Sie schlug vor, Karten für das Konzert von Supertramp zu besorgen. Ich nickte.
»Also dann …« Sie schaute über meine Schulter hinweg, offenbar näherte sich von hinten Arne. »Ich melde mich.«
Arne stellte sich neben sie, legte seinen Arm um ihre Schultern und zog sie wortlos von mir weg.
Auf der Heimfahrt in meinem wackligen Renault fragte ich mich, wie viel uns eigentlich noch verband. Ich musste an unsere erste Begegnung denken. Das war ungefähr sechs Jahre her. Der Trainer ließ mich in sein Büro kommen und machte ein ernstes Gesicht.
»Er ist ein bisschen still«, sagte er. »Aber ein großes Talent.« Arne sei aus dem Norden zum Stützpunkt gekommen. »Ich finde, ihr beiden könntet es zusammen versuchen.«
Seltsam, dachte ich, er hört sich an, als verlangte er ein Opfer von mir.
»Ich will erst einmal mit ihm sprechen.«
Der Trainer lachte.
»Das wird nicht gehen. Es sei denn, du bist damit zufrieden, einen Monolog zu halten.«
»So lange er rudern kann, darf
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