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Schlagmann

Schlagmann

Titel: Schlagmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evi Simeoni
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er ruhig den Mund halten.«
    »Rudern kann er, da kannst du sicher sein. Er zieht mehr Watt als jeder einzelne von euch.«
    Ein überzeugenderes Argument gab es nicht.
    Arne war damals 21, wohnte bei einem unserer Betreuer und wollte nichts als rudern. Ich war 22, und über meinem Nachttisch hing ein Zeitungsausschnitt mit dem Bild von einer olympischen Goldmedaille.
    Kaum hatte ich das Trainerzimmer verlassen, lief er mir auch schon über den Weg. Ich schlug vor, dass wir uns bei einem Italiener treffen sollten, der nicht teuer war, und für Ruderer extragroße Portionen auftischte.
    Wir waren um halb acht verabredet, aber er kam eine halbe Stunde zu spät. Schöner Anfang einer Partnerschaft, dachte ich,wollte aber nicht gleich an ihm herumkritisieren. Er erklärte, er habe seinen Rucksack zu Hause vergessen und deshalb umkehren müssen. Ich fragte ihn, warum ihn das eine ganze halbe Stunde gekostet habe.
    »Ich musste anderthalb Kilometer zurückgehen«, sagte er leicht empört. Ich mochte seinen Tonfall trotzdem.
    Es zeigte sich, dass er die schätzungsweise fünf Kilometer von seinem Quartier bis zum Italiener zu Fuß gegangen war, plus die drei, die er wegen seines Rucksacks hatte zurücklegen müssen – das machte acht. Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Später wurde mir klar, dass solch ein Fußmarsch für Arne nichts Besonderes war. Der Betreuer, bei dem er wohnte, sagte mir irgendwann, dass es bei seinen Eltern weder einen Fernseher noch ein Auto, noch nicht einmal eine Waschmaschine gab. Mir erzählte Arne kaum etwas von daheim.
    Ich wusste erst nicht, ob ich ihn bedauern oder beneiden sollte. Meine eigenen Eltern fuhren mir ständig hinterher, tauchten bei Regatten auf und wollten der ganzen Mannschaft Getränke spendieren. Mein Vater nervte mit technischen Fragen und meine Mutter mit besorgten Anmerkungen zu meinem persönlichen Wohlbefinden. Arne hatte dieses Problem nicht. Er war eigentlich immer allein.
    Als ich ihn fragte, ob er Geschwister habe, hob er lediglich den rechten Zeigefinger. Auch darüber sprach er nicht.
    Nur ein einziges Mal tauchten Arnes Eltern an einer Strecke auf – als wir nach unseren ersten Erfolgen an einem Einladungsrennen auf einem Kanal in Norddeutschland teilnahmen. Es gab dort ein großes Festzelt und sogar einen VIP-Bereich, so dass unser Anhang es sich gemütlich machen konnte.
    Wir hätten fast nicht mitbekommen, dass die beiden zu einem von uns gehörten, so unauffällig drückten sie sich an der Zeltwand entlang. Ein hochgewachsener, hagerer Mann miteinem ausgeprägten Kinn und klobigen Gelenken und eine deutlich kleinere, ein bisschen untersetzte Frau. Beide waren braungebrannt, trugen Wanderkleidung und Gesundheitssandalen. Auf dem Kopf der Mutter saß ein Hut aus schlappem Stoff. Darunter schaute strohblondes Haar hervor, das im Nacken zu einem Zopf geflochten war.
    Auch Herr Hansen war blond, graublond vielleicht, viel Haar hatte er nicht mehr. Beide trugen Rucksäcke, allerdings nicht diese knallbunten Kunststoff-Dinger, wie sie heute die Welt verunzieren, sondern bräunliche Wanderrucksäcke aus gutem Stoff mit Riemen und Laschen aus Leder und Schnallen aus Metall. Ich sah, wie unser Trainer auf sie zuging und sie mit Handschlag begrüßte, er bot ihnen Stühle an, sie setzten sich hin und schauten sich um. Sie ließen sich kleine Fläschchen mit Orangenlimonade und Strohhalmen bringen, saßen dann eine Stunde davor und tranken in kleinen Schlückchen davon.
    Arne war weit und breit nicht zu entdecken. Nach einer Weile sah ich ihn dann plötzlich doch neben ihnen sitzen, alle drei blickten schweigend auf die Tischplatte. Sie schienen aber nicht bedrückt oder verkracht zu sein, offensichtlich hatten sie sich einfach nichts zu sagen. Ich ging hin, stellte mich den Eltern vor. Und weil gegen verkrampfte Stimmung am besten Ali und ein dummer Spruch helfen, sagte ich:
    »Es gibt Sie also doch.«
    Frau Hansen erklärte daraufhin, dass sie ganz schön müde seien. Sie hätten mit dem Fahrrad zwei Tage gebraucht, um hierherzukommen. Und sie müssten auch heute schon wieder starten. »Aber schön, Sie kennenzulernen«, fügte sie mit einer naiven Nettigkeit hinzu, die irgendwie nicht von dieser Welt war. Herr Hansen räusperte sich, schwieg aber. Zwei Fisch-Eltern, dachte ich. Genauso außerirdisch wie der Sohn.
    Arne hatte später natürlich auch ein Fahrrad. Aber erst einmal lief er.
    »Warum sollte ich für den Bus bezahlen, wenn ich auch laufen

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