Schlagmann
ich versuchte, mich an seinen Rücken zu schmiegen, schüttelte er mich mit einem unwirschen Laut ab. Ich lag da, kämpfte gegen Empörung und Enttäuschung an und fragte mich, ob das das Ende war zwischen uns. Warum machte ich ihn nicht an? War ich nicht hübsch genug? Ich habe keine Ahnung, wieso ich nicht gegangen bin, sondern liegen blieb und auf Vergeltung sann. Vielleicht sollte ich Arne endlich fallen lassen und mit Ali den Spaß haben, den ich mir wünschte? Der war praktisch der Gegenentwurf zu Arne. Er sah schon aus wie seine Komplementär-Version. Ali hatte wirklich etwas Arabisches mit seinem schwarzen Haar, seinen dunklen Samtaugen und der gebräunten Haut. Es wunderte mich nicht, dass alle ihn Ali nannten und niemand Wolfgang zu ihm sagte – es passte einfach. Dennoch kam er mir ein bisschen oberflächlich vor. Aber er war ein Sunnyboy. Ali brachte die Leute schon dadurch zum Lachen, dass er gestelztes Zeug redete. Zur Begrüßung sagte er auf gut Bayrisch: »Habe die Ehre.« Wenn einer seiner Kumpel ein schrill gemustertes Hemd anhatte, fragte er: »Gibt es das auch bunt?« Und wenn es am Tisch ein bisschen zu lange still war, beklagte er sich: »Leute, lasst mich auch einmal zu Wort kommen.« Zugegeben, so superwitzig war das gar nicht. Aber besser als Arnes Brüten.
Ich wüsste gerne, ob Ali mich damals mochte. Ich meine alsFrau und als Mensch. Und wie er heute über mich denkt. Vielleicht kann ich ihn einmal danach fragen.
Arnes Kompromisslosigkeit sich selbst gegenüber wurde mir immer unheimlicher. Sein seltenes Interesse am Sex und sein asketischer Lebensstil befremdeten mich. Der achtlose Umgang mit seiner Kleidung und seiner Wohnungseinrichtung, wenn man sein zusammengewürfeltes Zeug überhaupt so nennen konnte. Auf seine körperliche Leistungsfähigkeit achtete er an jedem Tag, zu jeder Minute. Aber seine eigenen Bedürfnisse zügelte und reglementierte er. Und das schien ihm Vergnügen zu bereiten.
Auch sein Umgang mit dem Essen wurde mir immer unheimlicher. Er zeigte mir, wozu er seine drei Waagen und all die Messgeräte in der Küche brauchte. Aus einer Tüte löffelte er Haferflocken in eine Schale, stellte sie auf die Waage, schaute prüfend auf die Skala, nahm den Löffel und holte damit ein paar Bröckchen herunter, prüfte noch einmal die Skala und nickte schließlich zustimmend. Danach halbierte er eine Banane, schälte eine Hälfte, wog sie auch und schnitt sie über den Haferflocken in Scheiben.
»Ich muss doch wissen, was ich esse«, sagte er.
Später holte er aus einer flachen schwarzen Tasche einen tragbaren Computer heraus – ein großes, schweres, unhandliches Teil. Er brauche den Rechner für sein Studium, sagte Arne. Das Schreiben von Programmen gehörte zu seiner Ausbildung. Die Computerlogik passte sehr gut zu ihm. Dieses direkte, aber völlig abstrakte und unsoziale Denken. Er stellte den Rechner auf seinen Wohnzimmertisch, schloss ihn an und startete das System. Dann ließ er sich auf einen Stuhl nieder, ich stellte den anderen neben ihn und setzte mich auch. »Lass sehen.« Ich war erfreut, dass er mir endlich einmal etwas von sich zeigen wollte. Das war neu. Ich saß da und spürte seine Körperwärmeund dachte, wir sind ja doch ein Paar, und bald haben wir auch Gemeinsamkeiten.
Der Computer spielte die übliche Melodie, es piepste, und er startete ein Programm.
»Natürlich ist die Oberfläche nicht so schön gestaltet wie bei den Angeboten, die man kaufen kann«, sagte er. »Aber das ist überflüssiges Zeug.«
Es erschien lediglich weiß auf schwarz eine Tabelle mit Leerstellen, in die man Buchstaben und Zahlen eintragen konnte.
»Ich zeige dir jetzt einmal theoretisch, was ich vorhin praktisch gemacht habe.«
»Banane«, gab er ein, daneben »100 Gramm« und drückte auf »Start«. Eine Zeile darunter erschien die Zahl »95«. Er wiederholte den Vorgang mit »Haferflocken« und »100 Gramm«. Es erschien die Zahl »350«.
»Kilokalorien«, sagte er. »Das liest sich so, als wäre es unverhältnismäßig viel. Aber 100 Gramm Haferflocken haben natürlich ein erhebliches Volumen.« Er erklärte mir, dass Haferflocken, Nudeln, Kartoffeln und Brot vom Brennwert her ganz ähnlich einzuordnen seien, Haferflocken aber den höheren Nährwert hätten.
Dann gab er »Vollmilch« ein. »100 Milliliter«. Es erschien die »69«.
Ich war fasziniert von dem Programm, das er offensichtlich selbst geschrieben hatte, und gleichzeitig verwundert, dass er so etwas
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