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Schlagmann

Schlagmann

Titel: Schlagmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evi Simeoni
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gewissermaßen die Generalprobe. Dazu kam, dass wir unseren Sponsor zufriedenstellen wollten, da der Vertrag nach dem Olympiajahr endete. Arne hatte seine Knieverletzung anscheinend überwunden, und ich war fit wie nie. Im Frühjahr sah es gut aus für uns beide. Wir hatten es zwischendurch jeweils mit anderen Partnern versucht, aber das hatte uns nicht weitergebracht. So unterschiedlich wir auch waren – auf dem Wasser schienen wir zusammenzugehören. Beim Testrennen machten wir das Feld wieder einmal platt, nur ein einziges Boot konnte uns schlagen, wir waren zweitstärkster Zweier.
    Am Steg sagte Arne:
    »Das dürfte reichen.«
    Unsere Plätze im Weltmeisterschafts-Achter schienen uns sicher. Merkwürdig war nur, dass Scholz sich so zögerlich verhielt.Er mied das Gespräch mit uns, wir sahen ihn eigentlich nur noch vom Boot aus oder bei den Mannschaftssitzungen, wo ich eine seltsame Missstimmung spürte, die ich nicht genau benennen konnte. Im Klubhaus verschanzte er sich in seinem Büro, und beim Essen saß er mit den anderen Betreuern zusammen und beachtete uns nicht. Im Trainingslager fuhr der Achter in wechselnden Besetzungen – der Trainer erklärte uns seine Pläne für den folgenden Tag in kurzen Besprechungen und hängte den Trainingsplan anschließend ans schwarze Brett. An einem windigen Donnerstag passierte es: Ich wurde darüber informiert, dass ich am nächsten Vormittag auf dem Schlagplatz sitzen würde.
    Und Arne?
    War raus.
    Mit drei anderen starken Leuten hatte der Trainer ihn in den Vierer gesetzt. Und das blieb so. Auch bei der Weltmeisterschaft.
    Ich habe Scholz nie gefragt, weshalb er Arne degradiert hatte. Schließlich hatte nicht ich das Problem, sondern Arne. Der Trainer kannte seine gigantischen Qualitäten. Er wusste, mit wie viel Ehrgeiz er sein Training betrieb. Wie sehr er sich quälte und wie kompromisslos er sein Leben auf den Sport ausgerichtet hatte. Doch Arne hatte den Ergometertest abgebrochen. Ausgerechnet Arne, der uns alle stets in die Tasche gesteckt hatte, musste zu Beginn des Trainingslagers den Ergometertest abbrechen.
    Der Ergometer ist der Lügendetektor des Ruderns. Er deckt alles auf – jede schlaflose Nacht, jeden abgebrochenen Trainingslauf, jeden vermiedenen Schmerz im Krafttraining.
    In der Nacht zuvor konnten viele von uns oft nicht schlafen aus lauter Angst vor den gnadenlosesten sechs Minuten, die wir uns vorstellen konnten. Im Großen und Ganzen handelt es sich um die Rennsimulation auf einer Maschine, die ziemlich genauden Bewegungsablauf im Boot abfordert. Wie auf dem Wasser mussten wir 2000 Meter zurücklegen und dabei unsere ganze Kraft lassen. Alle Muskeln sind im Einsatz und werden ausgequetscht, bis nichts mehr da ist.
    Kaum hast du ein paar Mal am Griff gezogen und das schwere Rad in Schwung gebracht, das in den nächsten Minuten dein Gegner sein wird, da spürst du schon, dass es wieder einmal schwerer geht als erwartet. Es gibt niemanden, der bei diesem Test nicht leidet wie ein Hund. Die Zeit scheint stehenzubleiben, aber der Schmerz wird immer schlimmer. In der letzten Minute sitzt der Ruderer inmitten eines Sees aus Schweiß, er nimmt nichts mehr wahr außer dem Geschrei der anderen, die ihn anfeuern, die ihn beschimpfen und herausfordern, damit er die letzten Energiereste aus seinen Muskelfasern quetscht, das letzte bisschen Sauerstoff verheizt und sein ganzes Sein in Schweiß verwandelt. Hinterher können manche nicht einmal mehr von ihrem Rollsitz aufstehen. Sie müssen links und rechts gestützt werden, um nicht mit wild zitternden Beinen umzufallen.
    Diese Übung ist Rudern in seiner reinsten, in seiner schrecklichsten Form. Arnes Übung. Dass er jemals auf dem Ergometer aufgeben würde, hielten wir für unvorstellbar. Und doch passierte es. Er legte los wie immer, doch schon nach zwei Minuten spürten wir, dass etwas anders war. Er zog kraftvoll wie gewohnt, aber etwas fehlte, und plötzlich änderte sich die Atmosphäre im Raum. Sechs Jungs standen um den Ergometer herum, sie waren darauf gefasst gewesen, dass Arne es ihnen wieder einmal zeigen würde. Mit dem Instinkt der Leidensgenossen spürten sie jetzt, dass etwas in Arne zerfaserte. Viel zu früh schwitzte er, seine Nase hatte plötzlich einen weißen Hof, seine Augen quollen auf, still, fast andächtig sahen die anderen ihm zu. Nach vier Minuten ließ Arne den Griff plötzlich los, und das Rad saugte mit einem rauhen Geräusch das Drahtseilein. Arnes Pupillen verdrehten sich, und

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