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Schlagmann

Schlagmann

Titel: Schlagmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evi Simeoni
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brauchte.
    »Wieso muss es denn so genau sein?«
    Er schloss das Programm und startete ein neues.
    Wieder gab er einen Begriff ein.
    »Krafttraining« und dazu »60«. Die Zahl, erläuterte er, stehe für sechzig Minuten. Er drückte auf Start. »1048.«
    »Boh«, machte ich.
    »Das gilt aber nur für mich, männlich, 95 Kilogramm.«
    »Und wie viel verbraucht weiblich, 50 Kilogramm?«
    Dafür hatte er kein Programm, aber er schien sich auf diesem Fachgebiet sehr gut auszukennen.
    »Gut die Hälfte«, sagte er.
    Er trug ein: »Rudern« und »60«. Heraus kam »820.«
    Wenn er also eine Stunde rudere, dürfe er theoretisch 200 Gramm Haferflocken extra essen, plus Banane und Milch. Oder anderthalb Tafeln Schokolade. Er könne aber auch zwei Liter Coca Cola trinken.
    Ungefähr 2200 Kilokalorien verbrauche er einfach so, durch sein Leben. Den weiteren Verbrauch werde er bald täglich ziemlich genau berechnen können. Nur Mist, dass er in der Kantine des Stützpunktes keine genauen Messungen vornehmen könne. Die Wirtin, sagte er, mache zwar auf Nachfrage Kalorienangaben. Aber Arne traute ihren Berechnungen nicht.
    »Eines Tages werde ich das aber voll im Griff haben.«
    Arne nannte das System seine Input-Output-Rechnung. Am Ende, sagte er, dürfe nichts übrig bleiben. Kein Rest. Keine Chance für seinen Körper, Fett aufzubauen.
    Sex veranschlage er mit 400 Kilokalorien pro Stunde, sagte er sachlich. Das sei aber nur eine persönliche Schätzung, dazu habe er noch keine genauen Zahlen bekommen können. Ob ich ihm sagen könne, wie viele Minuten wir jeweils dafür brauchten. Es war das erste Mal, dass er in meiner Gegenwart das Wort Sex überhaupt aussprach. Ich strich ihm über den Oberarm und sagte:
    »Wir können die Zeit ja gleich einmal stoppen.«
    Arne schaute nicht einmal vom Bildschirm auf. Er werde, sagte er, die beiden Programme so koppeln, dass er in eine einzige Tabelle jeden Tag sein Essen und seinen Verbrauch eintragen könne. Auf diese Weise könne er sich selbst in Zahlen ausdrücken.
    »Hey«, machte ich und boxte ihn in die Seite. »Du bestehst als Mensch doch nicht ausschließlich aus deinem Kalorienumsatz.«
    Er blinzelte. »Das wäre doch ein beruhigender Gedanke.«
    »Beunruhigend«, korrigierte ich ihn. »Das wäre ein beunruhigender Gedanke.«
    Er reagierte nicht. Wenn ich eines aus den Jahren mit Arne gelernt habe, dann, dass wir niemanden ändern können. Jeder geht wie an Fäden gezogen seinen Weg, und keine Vernunft dieser Welt kann ihn abhalten.
    Vor dem Computer habe ich Arne noch häufig sitzen sehen. Er konnte stundenlang in die Tastatur hacken, ungeduldig auf die Tischplatte klopfen, wenn etwas zu lange dauerte, er fluchte manchmal leise vor sich hin, dann wieder rief er plötzlich »Na also«. Die Computerprogramme wurden zu seiner Existenzgrundlage, als er sein Studium endgültig aufgegeben hatte. Mit den Jahren baute er in seiner Wohnung immer mehr technische Geräte auf.
    »Das Kalorienprogramm würde ich mir patentieren lassen. Damit kannst du viel Geld verdienen.« Ich baute mich vor ihm auf, breitete die Arme aus und rief: »Meine Damen und Herren – die Arne-Hansen-Schlankheitskur.«
    Ich zerrte ihn lachend von seinem Computer weg, und er ließ es sich gefallen, und ich dachte, wenn Ali uns jetzt sehen könnte …
    Warum hatte der nur so wenig Einfluss auf Arne? Ich verstehe das nicht: Über Jahre hinweg können zwei Männer eng verbunden sein, sich täglich sehen, morgens um sechs gemeinsam in ein Boot steigen und losrudern. Sie können zusammen schwitzen, reisen, gemeinsame Gegner bekämpfen, zusammen verlieren oder Erfolg haben. Und wissen nichts voneinander.

ALI,
    Zusammenfassung einer Tonbandaufzeichnung, Dienstag, 10. Juni 2008
    Anja war ihm zugelaufen wie eine Katze. Arne selbst war viel zu schüchtern, um eine Frau anzumachen. Falls sie ihm jemals Vorwürfe gemacht haben sollte, dass er sie irgendwie mit in seinen Abgrund gezogen hat. Das kann sie nicht. Sie wollte mit.
    Ich wüsste gerne, was sie heute über mich erzählt. Meine persönliche Rolle in der ganzen Geschichte. Weiß sie, welche Wirkung sie damals auf mich hatte? Denkt sie noch an das Supertramp-Konzert?
    Es war das Jahr vor unserem nächsten Großangriff auf den Olympiasieg, als die ganze Sache zu kippen begann. Wir hatten unsere Goldmedaillen – und nun wollten wir natürlich noch eine. Das Jahr davor sollte dem Ziel dienen, die schlagkräftigste Mannschaft zu finden, und die Weltmeisterschaft war

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