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Schlagmann

Schlagmann

Titel: Schlagmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evi Simeoni
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fragte: »Was suchen wir eigentlich hier?«
    Ich hatte keine Ahnung.
    »Manchmal träume ich noch von ihm«, sagte sie. »Wenn ich mir vorstelle, wie es in seinem Innern ausgesehen haben mag … Das macht mir Angst.«
    Ich konnte sie nicht ansehen.
    »Mir auch. Er sucht mich heim, immer dann, wenn ich glaube, ich hätte endgültig meinen Frieden mit ihm gemacht.«
    Die Papiertüte mit den Kirschen legte ich auf den Brunnenrand. Sie schob ihre Hand in meine. Nach einer Weile hörte ich sie weinen.
    Wir setzten uns in ein fast leeres Lokal, bestellten Scholle und einen Weißwein und sprachen über unsere Erinnerung an Arne in einem ruhigen und gelassenen Ton, wie ich das noch nie vorher gekonnt hatte.
    »Vielleicht«, sagte sie, »können wir diese Geschichte gemeinsam abschließen. Wir müssen uns darüber klarwerden, dass wir keine Täter sind, sondern Opfer.«
    Ich nickte. Opfer. Das waren wir.
    Als wir vor die Tür traten, flog vor unseren Füßen ein Schwarm Spatzen hoch. Wir überquerten den Marktplatz, ichholte den Zettel mit Arnes alter Adresse heraus und fragte einen eben vorbeikommenden Postboten nach dem Weg. »Zu Fuß zehn Minuten«, sagte er, »wenn Sie sich ein büschen beeilen.« Er ging nicht weiter, sondern stellte seinen rechten Fuß auf eine niedrige Steinmauer, als richtete er sich auf eine längere Unterhaltung ein.
    »Zur Familie Hansen wollen Sie? Zu wem genau?«
    Seine Neugier war mir unangenehm. »Ist das wichtig?«, fragte ich in einem Ton, der mir selbst ein bisschen zu abweisend vorkam. Der Postbote zuckte mit den Schultern und nahm seinen Fuß wieder herunter.
    »Na denn viel Glück. Und guten Tach.«
    Wir verließen den Marktplatz, gingen eine Geschäftsstraße hinunter und kamen rasch in eine stille, ordentliche Wohngegend, in der Reihenhäuser und Einfamilienhäuser standen, alles aus Backstein und hübsch herausgeputzt mit Windmühlen im Vorgarten und Namensschildern aus Keramik. Arne konnte ich mir hier nicht vorstellen. Er war zu groß für eine solche Puppenstube. An der Ecke zur Elsa-Brandström-Straße blieb Anja stehen und fragte:
    »Was sagen wir den Leuten denn, warum wir hier sind?«
    »Wir wollen mit ihnen über Arne sprechen. Stimmt doch.«
    »Und wenn sie uns die Tür vor der Nase zuschlagen?«
    Anja machte keine Anstalten weiterzugehen. Ich auch nicht. Eigentlich hatte ich vorgehabt, seine Eltern nach den Gründen für Arnes Seelenzustand zu fragen. Nun wurde mir klar, dass sie uns wohl als späte Eindringlinge in ihre Familiengeheimnisse empfinden würden.
    »Ich will es jetzt wissen«, sagte ich, packte Anja am Ellbogen und zog sie weiter.
    Schon aus der Entfernung sahen wir, dass wir nichts über Arne erfahren würden. Das Haus mit der Nummer 9 war zwargenauso niedlich wie alle anderen hier. Doch das Gras im Vorgarten stand hoch, Unkraut blühte in den Ritzen des Plattenwegs, der zur Haustür führte, am Gartenzaun lag eine platt getretene Milchtüte. Die Klappläden waren geschlossen, keiner da. An einem Fenster im ersten Stock hing das Schild eines Immobilienmaklers: »Zu verkaufen«. Wir starrten eine Weile das Haus an.
    »Und jetzt?«, fragte Anja.
    Im ersten Stock des Nachbarhauses wurde ein Fenster geöffnet, eine Frau mit einem roten Kopftuch erschien.
    »Moin«, sagte sie. »Kann ich helfen?«
    »Wissen Sie, wo die Familie Hansen hingezogen ist?«
    Die Frau schüttelte den Kopf. »Die Herrschaften haben uns nicht viel erzählt. Der Umzugswagen hatte jedenfalls ein Kieler Kennzeichen. Es haben ja nur noch die Eltern da gewohnt, die beiden Söhne sind längst wech.«
    »Wohin?«, fragte ich scheinheilig.
    Der Blick der Frau wurde schärfer, sie zögerte.
    »Wer sind Sie eigentlich?«
    Anja schaute mich an, dann wieder die Frau.
    »Ach«, sagte sie. »Das ist doch unwichtig.«
    Die Frau zog sich zurück und schloss grußlos das Fenster. Wir gingen zurück durch die menschenleere Gegend, enttäuscht und erleichtert zugleich. Es tat gut, in den Porsche zu steigen. Ich fuhr. Mit einem kräftigen Tritt auf das Gaspedal ließ ich das Auto vorwärtsschießen. Die kleine Stadt lag schnell hinter uns, der Brunnen mit einer vergessenen Tüte Kirschen am Rand und das Unkraut vor Arnes verlassenem Elternhaus.
    Ohne zu fragen, fuhr ich immer weiter in Richtung Norden. Anja sagte nichts dazu. Sie drehte das Radio auf, und wir hörten ein paar alte Hits von T-Rex und Santana und sangen laut mit. Als wir den Nord-Ostsee-Kanal überquerten, rudertegerade ein Achter vorbei, und mich

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