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Schlagmann

Schlagmann

Titel: Schlagmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evi Simeoni
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Augenblicke, in denen ich dachte, ich könnte einen Zugang zu ihm finden und den heilsamen Zauberspruch sprechen, der ihn erlöste wie einen verwunschenen Prinzen. Ich war sicher, ich allein könnte das. So war ich damals eben. Aber was habe ich nur bei ihm gesucht? Ich hätte mich davonmachen sollen.
    Immer wieder bleibe ich mit meinen Gedanken an dieserStelle stecken. Warum nicht Ali? Am Abend des Ausscheidungsrennens war ich fast so weit gewesen. Ich war nicht wütend oder aggressiv, sondern überfordert. In seinen eigenen Augen war Arne erledigt, das wusste ich. Ich gebe zu, dass es egoistisch von mir war, mich an Ali, der selbst schuldbewusst über den Bootsplatz schlich, festhalten zu wollen. Der Grund dafür ist einfach – er war eben gerade da. Er gefiel mir, und ich wusste, dass ich ihm auch gefiel. Allein seine Größe und seine Kraft hatten etwas ausgesprochen Tröstliches. Darum war plötzlich Schluss mit meiner Selbstbeherrschung. Er stand vor mir und legte seine Arme um mich, und es gab in diesem Moment nichts Verlockenderes, als mich bei ihm anzulehnen und auszuweinen.
    So kam es, dass wir uns küssten, und dann brannten unsere Sicherungen durch. Ali fühlte sich wunderbar an. Alles war anders, ich fühlte mich geschätzt und gewollt. Und begehrt – gibt es etwas Schöneres? Wir drückten uns also fester aneinander, und es ging wie von selbst weiter. Ich sank auf einen weichen Stapel aus Planen. Er sank mit. Draußen hatte es wieder zu regnen begonnen. Die Tropfen prasselten aufs Dach und spielten die zweite Stimme zum Rauschen in meinen Ohren. Ali fühlte sich frisch an, er roch ein bisschen nach Duschgel, und seine Nase war kalt, als er sie an meinen Wangen rieb. Ich spürte seine Leidenschaft und genoss ihre Kraft. Ali hatte das Tor zur Halle fast ganz zugeschoben, es war trocken hier drin, und wir fühlten uns sicher, beinahe wie in einem Schutzraum, so dass wir uns völlig vergaßen, wenigstens für ein paar Minuten – bis plötzlich alles durcheinander geriet.
    Keine Ahnung, wieso Arne noch einmal zurückgekommen war. Vielleicht hatte er irgendetwas vergessen, oder er spürte ausnahmsweise doch einmal, was in den Menschen in seiner Umgebung vorging, oder er wusste einfach nicht, wohin er sonst gehen sollte nach seiner Niederlage.
    Es war einer der niederschmetterndsten Augenblicke meines Lebens. Etwas veränderte sich plötzlich, vielleicht nur der Luftzug, weil Arne das Tor ein Stück aufzog, so dass mein Bewusstsein wieder ins Hier und Jetzt zurückkehrte. Ich drehte mich von Ali weg.
    Wir richteten uns beide ein Stück weit auf und sahen Arne näherkommen. Er hatte die üblichen Sachen an, die Motorradjacke über dem grauen Trikot, die Kapuze über den Kopf gezogen. Sie war dunkelgrau vor Nässe.
    Wir fuhren auseinander, unsere Kleidung unordentlich, mein glänzender Regenmantel und der Hut lagen zu unseren Füßen wie lachhafte Zeugen unseres Betrugs.
    Arne stand breitbeinig vor uns mit einer offenen Bierflasche in der rechten Hand. Alle drei banale Figuren in einem banalen Drama, in einem billigen Film, der schon millionenfach wiederholt worden ist. Als folgte er dem trivialen Fernsehdrehbuch, fragte Arne nach dem, was er auch so sehen konnte:
    »Was macht ihr da?«
    Und Ali antwortete wie ein Trottel:
    »Nichts. Wieso?«
    Arne schwankte kurz.
    »Gratuliere zum Sieg«, sagte er mit gepresster Stimme. Dann holte er mit der rechten Hand aus und schmiss seine fast noch volle Bierflasche auf den Betonboden direkt vor unsere Füße. Sie zerschellte, das Bier verteilte sich rasch zu einer zischenden Pfütze.
    Arne stürmte hinaus aus dem Bootshaus. Ali griff sich mit beiden Händen an den Kopf.
    »Das hätten wir nicht tun dürfen«, sagte er erschrocken.
    »Nein«, sagte ich.
    Weder er noch ich gingen Arne hinterher.
    Schweigend schlüpfte ich wieder in meinen Regenmantel.Obwohl es draußen immer noch regnete, verließen wir das Bootshaus. Jeder ging zu seinem Auto, wortlos.
    Ali und ich hatten Arne in den Abgrund gestoßen. Wir fühlten uns mies, aber das wahre Ausmaß des Geschehenen konnten wir uns nicht vorstellen. Arne verlor viel mehr als seine Position im Sport und meine Treue. Meine Treue … Ich nahm mich selbst trotz all der Enttäuschungen viel zu wichtig. Ich gehörte vielleicht immer noch zu seinen Lieblingsgegenständen, diesen paar Dingen, die zu seiner Identität gehörten wie sein athletischer Körper. Jacke, Armband, Rucksack, Fahrrad, Computer und ich – ich nehme an, wir

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