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Schlagmann

Schlagmann

Titel: Schlagmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evi Simeoni
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packte die Sehnsucht nach dem Wasser und der körperlichen Anstrengung. Ich fuhr von der Autobahn ab und hielt aufs Geratewohl vor einem Landgasthaus. Wir nahmen ein Zimmer und gingen sofort hinauf. Es war, als könnten wir unser Leben einfach an dem Punkt fortsetzen, an dem Arne damals ins Bootshaus gekommen war. Anja wurde seltsam still, als ich meine Arme um sie legte. Sie schien in meinen Zärtlichkeiten zu versinken wie eine meditierende Katze.
    »Moment«, sagte sie dann plötzlich mit einer nüchtern klingenden Stimme. Sie nahm meine Handgelenke, schob meine Hände weg und ging um das Doppelbett herum. Es war ein hölzernes Himmelbett mit karierten Vorhängen. Ich blieb mit hängenden Armen stehen und fühlte mich fehl am Platz.
    »Was ist?«
    Sie öffnete ihren roten Gürtel, dann den seitlichen Reißverschluss ihres weißen Kleides und zog es über ihren Kopf. Rasch hakte sie den Verschluss ihres Büstenhalters auf, und ihr schwerer Busen rutschte ein Stück tiefer, aber nicht so tief, dass es mich gestört hätte. Sie war nicht mehr jung, aber ihre gebräunte Haut sah zart und glatt aus, und ihr ganzer Körper schien zu schwingen. Sie legte den Finger auf den Mund und schlüpfte rasch ins Badezimmer, kurz darauf hörte ich die Dusche laufen, zog mich hastig aus und folgte ihr.
     
    Die nächsten beiden Tage erlebte ich in einem Zustand der Ungläubigkeit. Ich war nicht mehr der Ali von damals, aber der von heute auch nicht.
    Irgendwann stiegen wir wieder ins Auto, nun war es selbstverständlich, dass ich das Steuer übernahm. Ich fuhr weiter Richtung Norden, über schmale Alleen und sonnige Landstraßen und genoss es, wenn der Porsche stabil wie ein Brett durchdie Kurven zog. Schließlich kamen wir an einen breiten Fluss. Ich folgte dem Wegweiser zu einer Fähre.
    »Sollen wir?«
    Anja nickte. Die Fahrt ging ein Stück den Fluss entlang über betoniertes Industriegelände, nach einer Weile sahen wir die Fähre liegen, wir waren das einzige Fahrzeug und rollten über eine stählerne Auffahrt mit spürbaren Schwellen hinauf. Eine solche Fähre hatte ich noch nie gesehen. Sie war mit zwei Stahlseilen an einem quer über den Fluss gespannten Hochseil befestigt. Kaum hatte ich das Auto abgestellt, stieg ich aus und zahlte den Fahrpreis bei einem Angestellten mit blauer Wollmütze.
    Als die Fähre ablegte, ging ich an die Reling, und der Wind zerrte an meinem Hemd. Ich hörte den Wellen zu, die an den Bootskörper schlugen, und dem Rauschen des Wassers. Ich sog den Geruch des Flusses in mich hinein, der frisch und faulig zugleich war und mich an den Kanal zu Hause erinnerte, unser einstiges Trainingsrevier. Plötzlich stand Anja hinter mir, ich drehte mich halb um und berührte ihren nackten Oberarm, und als ich ihre kühle Lebendigkeit spürte, hatte ich nur noch einen einzigen Wunsch: Ich wollte nie wieder ans Land zurück.

ANJA,
    Zusammenfassung einer Tonbandaufzeichnung, Montag, 22. September 2008
    Wir haben zusammen einen Fluss überquert, Ali und ich. Vielleicht war es die wichtigste Flussüberquerung meines Lebens. Es geht Sie eigentlich überhaupt nichts an, Herr Müller, aber es kommt mir vor, als könnte ich die Bilder unserer Vergangenheit erst jetzt ganz scharf sehen. Ich sehe mich und Arne. Mich und Ali. Ich kann nichts mehr ändern an dem, was geschah, und ich konnte es nie.
    Als ich meine Wohnungstür aufschloss und Alis Taxi wegfahren hörte, kamen mir plötzlich die Tränen. Mein Leben hätte ganz anders verlaufen können, wenn ich nicht so beschränkt gewesen wäre. Wieso habe ich Ali damals nicht für immer festgehalten? Und Arne verschwinden lassen, ohne ihm hinterherzusehen? Nur wegen einer einzigen Ansichtskarte? Damals hatte ich keine Wahl. Der Moment im Bootshaus erschien mir wie ein Schwächeanfall, von dem ich mich rasch wieder erholen musste. Ich war wie besessen von Arne, nach seiner Niederlage im Rennen gegen Ali noch mehr als zuvor. Je größer die Zweifel daran wurden, dass er mich wirklich wollte, desto mehr kämpfte ich um ihn, einen Kampf ohne wirkliches Ziel.
    Arne sprach nie mit mir über den Verrat im Bootshaus. Meinen Verrat. Ich weiß nicht, ob er überhaupt darüber nachdachte. Heute frage ich mich, wen oder was ich überhaupt verraten habe. Unser nicht existierendes Vertrauensverhältnis vielleicht? Unsere Beziehung erschien mir immer rätselhafter, ja, sogar unheimlicher. Es gab damals schon eine Nacht, in der er mich schaudern ließ. Der Gedanke daran verursacht mir

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