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Schlagmann

Schlagmann

Titel: Schlagmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evi Simeoni
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besonders fest anzupacken. Der zog ein besorgtes Gesicht, sagte aber nichts.
    Natürlich hätte ich pausieren sollen mit dem Sport, aber die Olympischen Spiele standen bevor. Eines Tages konnte ich morgens nicht mehr aufstehen. Ich musste dringend auf die Toilette, aber ich kam nicht hoch. Der Schmerz war gnadenlos. Zum Glück sah nach ein paar Stunden meine Mutter nach mir, die mein Auto vor dem Haus hatte stehen sehen, obwohl ich längst in der Uni hätte sein müssen. Sie alarmierte unseren Nachbarn, einen pensionierten praktischen Arzt, der mir eine Spritze gab. Zum Glück. Es fehlte nicht viel, und ich hätte in die Hosen gemacht.
    Irgendwann landete ich beim Radiologen, legte mich auf den metallenen Schragen und wurde langsam in die Röhre geschoben. Es ist einfach, Patienten gut zuzureden, ihnen zu empfehlen, tief zu atmen und die Augen zu schließen und an irgend etwas Schönes zu denken. Wenn man selbst an die Reihe kommt, ist es vorbei mit der Gelassenheit. Die Patienten finden es gerecht, dass ihr Arzt die Angst und den Schmerz auch einmal am eigenen Leibe erfährt. Ich sehe das allerdings ein bisschen anders. Wir müssen möglichst emotionslos und pragmatisch anunsere Aufgaben gehen und sie sauber lösen, das hilft den Kranken am meisten. Mitleid hat noch niemanden geheilt.
    Freundschaft auch nicht.
    Arne wäre gleichmütig geblieben. Er hätte keine irrationale Angst bekommen. Er nicht. Wahrscheinlich wäre er aus einer solchen Röhre herausgekommen, staubtrocken und entspannt, ohne überhaupt zu begreifen, warum andere sich darüber aufregen.
    Sei tapfer. So gewinnt man Kriege.
    Sogar den Krieg gegen sich selbst.
    Ich spürte das Band wieder, das unzerreißbar zwischen uns bestand. Wir konnten uns gegenseitig fertigmachen, wenn wir wollten, uns bis auf die Knochen bloßstellen, ich konnte ihm die Frau abspenstig machen – wir waren trotz allem verbunden, das war mir plötzlich wieder klar, als ich in dieser Röhre lag.
    Das Ergebnis der Untersuchung war entmutigend. Ich hatte einen Bandscheibenvorfall und musste für mehrere Monate mit dem Training aufhören. Olympia konnte ich vergessen. Eigentlich hatte ich vorgehabt, nach den Spielen mit dem Leistungssport aufzuhören. Nun war alles zu Ende.
    Schlagmann hin oder her. Ein anderer würde den Platz einnehmen, für den Arne und ich uns zerrissen hatten. Ich schluckte eine weitere Schmerztablette und fuhr nach Hause.
    Katja gab zu der Zeit alles. Sie zog bei mir ein, kochte für mich und half mir beim Anziehen, und die Erinnerung an Anja verblasste.
    An Arne dagegen musste ich häufig denken, wenn ich wieder einmal weder sitzen noch liegen konnte, mich vor meine Terrassentür stellte und hinausschaute. Zum ersten Mal in meinem Leben wurde es düster um mich, ich war bedrückt und reizbar und herrschte jeden an, der mir helfen wollte. Ich sagte mir, dasist normal, ein vorübergehendes seelisches Tief, kein Wunder, nach dem Absturz von der Goldhoffnung ins Nichts, zusammen mit der Verletzung, den Schmerzen und den Medikamenten. Die Leute vom Stützpunkt vergaßen mich nicht, sie erkundigten sich regelmäßig nach meinem Ergehen und wünschten mir gute Besserung, doch ich misstraute ihren Nettigkeiten. Wahrscheinlich taten sie es aus Pflichtgefühl. Ich war schließlich jetzt Ausschuss und wusste, dass sie sich um Wichtigeres zu kümmern hatten.
    Ich fragte mich, wie Arne mit der Leere klarkam. Womit er sein Denken und Fühlen ernährte ohne den Mittelpunkt, um den wir jahrelang gekreist waren, unseren alles beherrschenden Sport. In meinem angeschlagenen Zustand glaubte ich ihn besser zu verstehen als bisher. Vielleicht machte ich mir zu viele Sorgen um ihn. Vielleicht war er einfach nur ein extremer Mensch. Nicht alle Stimmungsschwankungen sind gleich pathologisch. Der schadet doch niemandem, dachte ich. Er hat nie jemandem etwas zuleide getan.
    Meine schwermütige Stimmung hielt länger an als die Rückenschmerzen. Es war bereits Winter, als ich langsam wieder normal wurde. Ein kalter, harter Winter mit vereisten Gehwegen, so dass ich draußen immer noch wie ein alter Mann umherschlich, um mich nicht etwa bei einem Sturz aufs Neue zu verrenken. Ich war viel mit dem Auto unterwegs, und als ich eines Tages, kurz nach Weihnachten, durch Arnes Straße fuhr, wusste ich plötzlich, was nun anstand. Ihn treffen, mit ihm sprechen, mich mit ihm aussöhnen.
    Ich hatte am Stützpunkt gehört, dass er noch hier lebte und dass er inzwischen daheim als Programmierer

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