Schlagmann
vergangenen 24 Stunden jemand eine Mahlzeit eingenommen. Ich betrachtete ihn, wie er da kauerte, er wirkte nicht geschwächt, nur ungewaschen und vernachlässigt. Ich schaute seinen kraftvollen Hals an, die breiten Schultern, die Oberarme, um die sich seine Ärmel spannten, er wirkte stark und gesund.
Ich räumte in seiner Wohnung ein bisschen auf, was er sichkommentarlos gefallen ließ. Nach ungefähr einer halben Stunde stand er von seinem Stuhl vor dem Computer auf, ging zu seiner Sporttasche im Flur, öffnete rasch den kratzenden Reißverschluss und holte eine Flasche Bier heraus.
»Wo ist der Öffner?«, fragte er.
Ich hatte ihn weggeräumt, ging wortlos in die Küche, holte ihn aus der halbleeren Besteckschublade und rief durch die Tür:
»Das Bier ist doch warm. Das kann nicht gut schmecken.«
Arne schwieg. Ich ging zu ihm, gab ihm den Flaschenöffner, die Kohlensäure zischte, als er den Kronenkorken entfernte. Nachdem er die Flasche an den Mund gesetzt und mehrere große Schlucke getrunken hatte, wischte er sich mit dem Unterarm den Schaum vom Mund. Er stellte die Flasche auf den Garderobentisch, kramte aus der Seitentasche seiner Jogginghose ein Päckchen Marlboro und ein Feuerzeug heraus, schüttelte eine Zigarette hervor und zündete sie an. Er zog einmal fest daran und blies den Rauch durch die Vorderzähne in meine Richtung, und wenn ich mich nicht irre, lag in seinem Blick ein winziger Funke des Triumphes.
Ich hatte Hunger und ging.
Draußen auf der Straße stand ich plötzlich in rotem Licht – die Sonne glühte in der Lücke zwischen zwei hohen Häusern, es war ein Abend von unwiderstehlicher Schönheit. Ich blieb am Straßenrand stehen und konnte nicht weiter. Es war, als wäre mein Gehirn für ein paar Sekunden außer Gefecht gesetzt. Was hatte ich da gerade erlebt? Wieso kam es mir so wichtig vor?
Eine tiefe Müdigkeit saß in meinen Gelenken, so als hätte Arne mit seinem Auftritt in den vergangenen Minuten meine gesamte Lebenskraft verbraucht. Vor lauter Schwäche fing ich an zu zittern und dann zu weinen.
ALI,
Zusammenfassung einer Tonbandaufzeichnung, Dienstag, 23. September 2008
Es war wie ein Fluch. Seit dem Tag, als Arne die Bierflasche vor unsere Füße gepfeffert hatte, kämpfte ich nur noch gegen Probleme. Von Anja hörte ich nichts. Kein Anruf, kein Brief. Ich fühlte mich, als wäre ich abgesprungen und nicht wieder gelandet. Sie fehlte mir, obwohl alles an ihr Probleme versprach. Ihre Verbindung zu Arne. Ihre unstete Art. Ihre Selbstsicherheit. Ihr Aussehen, das mich zu Dummheiten zu verleiten drohte.
Katja, mit der ich immer häufiger ausging, drängte ziemlich bald auf eine Verlobung. Verlobung! Nur Spießer verlobten sich. Ich machte mir Sorgen, dass sie heimlich die Pille absetzen könnte, um schneller ans Ziel zu kommen. Hat sie dann ja auch. Und ist sie auch. Mich hat, sagt sie selbst manchmal, das verdiente Schicksal des Schwerenöters ereilt.
Auch mit dem Sport ging es bergab. Der Vergleich mit Arne hatte nichts gebracht. Der Trainer erklärte, wir hätten uns an einem einzigen Rennen nicht so hochziehen dürfen. Wir seien viel zu emotional an die Sache herangegangen, er schätze zwar Ehrgeiz, aber keine Rivalitäten bis aufs Messer, die sich dann auch noch auf das Privatleben ausdehnten. Ich fand, dass er recht hatte. Insgeheim war ich natürlich stolz darauf, dass ich unseren stärksten Mann geschlagen hatte. Aber ich trug schwer an den Konsequenzen. So schwer, dass mein Rücken nachgab. Manchmal meinte ich sogar, mein Rückenproblem sei eine Strafe, die Arne mir auferlegt hatte. Es begann nicht etwa unter Belastung, weder im Kraftraum noch beim Rudern. Ich versuchte lediglich, während ich in meinem Bett lag, ein schiefes Bild an der Wand über mir wieder gerade zu rücken. Blöde Idee.Ich reckte meinen rechten Arm nach dem Bild, während ich den Oberkörper verdrehte, und hatte es noch nicht erreicht, als plötzlich ein scharfer Schmerz in meinen Rücken schoss. Ein brutaler Schmerz. Ich ließ meinen Arm fallen und atmete dagegen an, und es schien langsam besser zu werden. Nach einer Weile konnte ich aufstehen. Aber der Schmerz ging nie mehr ganz weg, es war, als würde er manchmal Luft holen, nur um mit noch größerer Wucht wiederzukommen.
Erst sagte ich dem Trainer nichts und nahm Tabletten. Schmerzhemmer. Entzündungshemmer. Ich dachte mir, das ist eine Zerrung und geht wieder vorbei und bat den Physiotherapeuten, mich an der verkrampften Stelle
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