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Schlagmann

Schlagmann

Titel: Schlagmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evi Simeoni
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bisschen zu groß, ich hatte sie lange. Wir hatten keinen Vater mehr – er war bei einem Arbeitsunfall auf der Baustelle ums Leben gekommen –, und musstendeshalb sparen. Ich wuchs nur langsam und behielt alle meine Sachen so lange, bis sie zerschlissen waren. An die Farbe des kurzärmeligen Hemdes, das ich auf dem Foto trage, erinnere ich mich trotzdem nicht mehr. Auffällig sind meine Knie: Beide sind aufgeschlagen und verschorft, auf dem einen sitzt ein großes, knittriges Pflaster. Ich stehe leicht zurückgeneigt auf dem linken Bein und breite die Arme aus, um das Gleichgewicht zu halten. Auf dem rechten Spann balanciere ich einen Fußball. Meinen eigenen Ball, aus diesem robusten Leder, dessen rauhe Oberfläche ich gerne einmal wieder anfassen würde. Spaltleder, nicht so glatt und speckig wie die Bälle, die früher in der Bundesliga benutzt wurden, aber gut zu treten. Ich hatte ihn fast neu auf dem Dachboden des Hauses gefunden, in dem wir eine Zwei-Zimmer-Wohnung gemietet hatten. Sechs Wochen lang versuchte der Hausmeister, den Besitzer zu ermitteln. Tatsächlich durfte ich den Ball schließlich behalten. Er war mein Ein und Alles. Bei Regen sog er sich voll Wasser, wurde schwer und sprang nicht mehr. Aber das war seine einzige Schwäche. Immer wenn meine Noten absanken, musste ich den Ball bei meiner Mutter abgeben. Das ging so lange, bis ein VW Käfer ihn überfuhr.
    Wenn ich sehe, wie triumphierend ich grinse auf diesem Bild, dann denke ich, dass ich eigentlich ein ganz glücklicher Junge war. In der Schulmannschaft war ich der Kleinste – aber der Mittelstürmer. Eine Zeitlang sogar Kapitän – bis ich einem Gegenspieler aus der Parallelklasse so heftig gegen das Knie trat, dass der zum Röntgen ins Krankenhaus musste. Wegen Unbeherrschtheit setzte mich der Rektor persönlich ab.
    Ich musste ein zusätzliches Schuljahr einlegen, aber dann schaffte ich es aufs Gymnasium. Dort entdeckte Ferdi Budzinski mein Talent als Leichtathlet. Schon beim ersten 1000-Meter-Lauf meines Lebens rannte ich dem Rest der Klasse um eine halbe Minute voraus. Seitdem war ich für alle der schnelle Rolf.Der Sportlehrer nahm mich beiseite und schlug mir vor, mich zu trainieren. Er meldete mich bei dem Verein an, wo er als Übungsleiter tätig war, und baute mich auf. Ich spielte Fußball, sooft es ging, aber das Laufen kostete immer mehr Zeit. Der Lehrer fuhr mich mit seinem eigenen Auto zum Training und zu meinen ersten Wettkämpfen, später übernahm das der Schatzmeister unseres Klubs. Ich galt als vielversprechendes Talent, der Verband wurde auf mich aufmerksam, ich durfte an Lehrgängen und Trainingslagern teilnehmen und bekam Sportsachen zur Verfügung gestellt. Wenn ich abends in der Vereinsgaststätte blieb, brachte mir der Pächter ein Rumpsteak mit Pommes Frites auf Kosten des Präsidenten. Schnell zeigte sich, dass ich über 800 Meter meine stärksten Leistungen brachte. Zweimal die Stadionrunde. Meine Bestzeit: 1:52,37. Da war ich 18, stand knapp zwei Jahre vor dem Abitur, und der Verein meldete mich für die deutschen Juniorenmeisterschaften. Ich hatte einen Plan, den ich niemandem verriet: Sollte ich gewinnen, wollte ich sofort von der Schule abgehen, einen Sponsor suchen und Profisportler werden.
    Ich trainierte wie ein Verrückter, und ich hätte noch mehr gemacht, wenn mein Trainer mich nicht sonntags zu einer Pause gezwungen hätte. Damals lief man immense Strecken – 140 Kilometer in der Woche waren normal, bei jedem Wetter natürlich, in einem Tempo, das ich stundenlang gleichmäßig durchziehen konnte. Es leerte meinen Kopf und ließ meinen Blick verschwimmen, bis ich nichts mehr wahrnahm und nur noch lief. Dieser Phase folgte die Intensivierung – Ferdi jagte mich jetzt Steigungen hinauf, wieder und wieder. Ideal, behauptete er, sei es, Sanddünen hochzurennen, und organisierte ein Trainingslager an der Nordsee. Ich erinnere mich, dass ich oft so fertig war, dass ich mich im Schatten der Dünen übergeben musste. Ferdi klopfte mir dann beschwichtigend auf den Rücken undsagte: Halb so schlimm, Kleiner. Wenn ich so erschöpft war, dass ich abends nichts mehr essen konnte, gab er mir einen halben Tag Pause, die ich auf einer wackeligen Liege unter einem schattigen Baum verschlief. Am Wochenende ließ er mich lernen. Ich pumpte meine Muskeln voll Sauerstoff und mein Gehirn voll Algebra und Französisch. Ich führte das Leben eines Nutztiers, und das empfand ich als angenehm. Alles lief nach Ferdis Plan,

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