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Schlagmann

Schlagmann

Titel: Schlagmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evi Simeoni
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schließlich los, und es war, als löste sich eine Zange, die mich sonst im Griff hatte. Ich genoss es, wie Wärme und Energie in meine Muskeln strömten. Ich versuchte, meine Atemzüge zu kontrollieren.
    Arnes Schatten neben mir hustete verkrampft und riss mich aus meiner Versunkenheit. Er nahm keine Notiz von mir, vielleicht bemerkte er mich gar nicht, denn er hatte Kopfhörer auf. Plötzlich hörte ich daraus leise, altbekannte Beats. Nirvana?
    Ich sah ihn mir näher an. Unter seiner schwarzen Strickmütze kam sein blonder Pferdeschwanz hervor. Zwischen zwei Zügen schrie ich plötzlich:
    »Arne!«
    Und das nicht nur, um den Walkman zu übertönen. Der Schrecken, den ich bisher in Schach hatte halten können, packte mich unvermittelt. Arnes Beine klappten beim Rudern ein und aus, sie waren nur noch Fäden, und ich wunderte mich, dass er sie überhaupt noch bewegen konnte.
    »Mein Gott, Arne!«
    Er sah auf, und ich merkte, dass er mich nun endlich registriert hatte, aber er sagte nichts, richtete den Blick nach einem kurzen Nicken wieder nach innen und zog weiter mit seinem Spinnenkörper.
    Wie lange lag unsere letzte Begegnung zurück? Zwei Jahre? Damals hatte er bereits deutlich an Gewicht verloren, doch man hätte das zu jener Zeit noch als Folge des Abtrainierens sehen können. Aber jetzt!
    Als ich ihn genauer beobachtete, merkte ich allerdings, dass er immer noch erstaunlich viel Kraft aus seinen geschrumpften Muskeln holte. Das Schwungrad sauste, und er rollte vor undzurück auf seinem Sitz, vor und zurück wie eine auf lange Laufzeit ausgerichtete, filigrane Mechanik. Seine Schläfen waren nass, seine Wangen fiebrig gerötet, er hörte erst auf, als ich selbst fertig war. Mir taten die Beine weh, aber es war ein guter Schmerz. Und noch besser: Mein Rücken schien sich unter der Belastung zu erholen.
    Als ich aufstand, fühlte ich mich ein bisschen schwach in den Knien. Ich schaute zu Arne hinüber, der sich seitlich an der Sprossenwand festhielt, wo wir uns früher manchmal mit ein paar Übungen aufgewärmt hatten. Er keuchte schwer mit einem rasselnden Geräusch. Raucherhusten, dachte ich sofort. Dafür hat er lange durchgehalten auf der Maschine.
    Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Ihn auf seinen Zustand ansprechen? Ihm in den Hintern treten? Aber vielleicht lebte er ja nicht nur ungesund, sondern litt inzwischen an einer schweren Krankheit? Tatsächlich sah er aus wie ein Krebspatient. Oder vielleicht Aids? Vielleicht war er längst in ärztlicher Behandlung und versuchte, durch seinen Sport seine Abwehrkraft zu stärken? Ich wusste nur eins, als Arzt und als Mensch: Ich durfte der Sache diesmal nicht ausweichen. Ich musste mit ihm über seinen Zustand sprechen. Also ging ich zu ihm hin und legte eine Hand auf seine Schulter. Er zuckte erschrocken zurück, doch zu spät: Die Schulter hatte sich angefühlt wie eine Astgabel.
    »Ich komme nicht mit zum Duschen«, sagte er in Richtung des geöffneten Fensters, durch das es heftig zog. Das waren die ersten Worte, die ich nach ungefähr zwei Jahren von ihm hörte. Er ging zu seinem Ergometer und nahm eine sorgfältig zurechtgeschnittene Styropor-Platte von dem schmalen Rollsitz.
    »Was ist das denn?«
    »Die brauche ich, um meine Gesäßknochen zu schützen«, sagte er und versteckte das Ding rasch hinter seinem Rücken. »Ich würde sonst die Haut wund reiben.«
    »Willst du auf mich warten?«
    Arne nickte.
    Ich beeilte mich mit dem Duschen, obwohl ich mich auf das Gefühl des warmen Wassers auf meinem müden Körper gefreut hatte. Weil ich befürchtete, Arne könnte abhauen, trocknete ich mich danach hastig ab. In frischen Sachen und mit einer Schirmmütze auf dem Kopf ging ich hinaus und sah Arne mit krummem Rücken oben auf der ersten Treppenstufe sitzen, die Arme untergeschlagen und an den Körper gepresst, die Hände in den Achselhöhlen, seine Beine streckte er über mehrere Stufen nach unten. Neben ihm seine alte rote Sporttasche. Obwohl er einen langen Wollpullover übergezogen hatte, schien er zu frieren.
    »Arne, willst du mir nicht sagen, was mit dir los ist?«
    »Doch.«
    Er schloss seine Arme noch fester um seinen Oberkörper.
    »Ich weiß, dass ich so nicht weitermachen kann.«
    Ich holte eine Flasche Apfelschorle aus meiner Sporttasche und bot sie ihm an.
    Arne schüttelte den Kopf.
    »Das trinke ich nicht. Zu viel Zucker.«
    Ich sagte: »Bist du krank?«
    Er beugte sich vor, als hätte er Magenkrämpfe.
    »Wenn du das als Krankheit

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