Schlamm, Schweiß und Tränen
jedem Trimester stattfindenden Tischtennismeisterschaft haben wir so
verbissen gekämpft, als ginge es dabei um einen Sieg in Wimbledon.
An jedem Samstagabend versammelte sich die ganze Schülerschar
regelmäßig in der Aula: Alle quetschten sich dicht an dicht auf die
Bänke, um sich einen alten klassischen Kriegsfilm aus dem Zweiten
Weltkrieg anzuschauen, der dann auf einem klapprigen Vorführgerät
über die Leinwand flimmerte. Danach bekam jeder von uns eine Tafel Schokolade - das war unsere wöchentliche Ration an Süßigkeiten.
Ich habe mir meine Tafel immer in kleine Stücke geteilt, damit ich
nach Möglichkeit die ganze Woche etwas zu naschen hatte.
Das alles hat wahnsinnig viel Spaß gemacht. Es fühlte sich an, als
würde man in einem ganz anderen Jahrhundert leben, und ich bin mir
ziemlich sicher, dass die Schule genau das damit bezwecken wollte.
Das war eben „alte Schule", und zwar im besten Sinne des Wortes.
Im Winter liefen wir auf dem zugefrorenen See Schlittschuh, allerdings musste zuvor die Eisdecke auf ihre Tragfähigkeit geprüft werden - sehr zum Leidwesen des Lateinlehrers, der dies mithilfe einer
auf das Eis geschobenen Leiter testen musste. Ich durfte bei jedem
Wetter Wald- und Geländeläufe machen, was mir immer großen
Spaß machte. Und so wurde dem Aspekt „Gesundheit und Sicherheit" auf gesunde Weise Rechnung getragen.
Doch vor allem wurde uns beigebracht, dass wir aufeinander aufpassen und uns große Ziele stecken sollten - das sind ziemlich wichtige Lebenskompetenzen, für die ich noch heute sehr dankbar bin.
Gegen Ende meiner fünfjährigen Internatszeit wurde ich allerdings auch zunehmend frecher und - gemeinsam mit ein paar Freunden - habe ich mein Glück dann deutlich überstrapaziert. Ich wurde
auf frischer Tat ertappt, wie ich ein paar Dosen Bier in meinen Rugby-Stiefeln bunkern und Zigaretten unter meinem Kopfkissen verstecken wollte; außerdem wurde ich bei dem Versuch erwischt, wie ich
in das Haus des stellvertretenden Schulleiters „einbrechen und mir
Zugang verschaffen" wollte, um seine Zigarren zu stehlen.
Der Schulleiter erklärte uns daraufhin sehr unmissverständlich:
„Das Maß ist jetzt voll. Noch ein Ausrutscher und Ihr fliegt alle
,raus`."
Doch als ich schließlich dabei erwischt wurde, wie ich mit der
Tochter eines anderen Schulleiters - in dessen Schule wir auf dem
Rückweg von einer Exkursion übernachteten - leidenschaftliche
Zungenküsse austauschte, war das der Tropfen, der das Fass zum
Überlaufen brachte. Die Ironie daran war nur, dass dies nicht ganz
allein meine Schuld war.
Fünfzehn von uns Jungs schliefen auf dem Boden der Turnhalle
dieser Schule, in der wir übernachteten. Im Laufe des Abends war mir
die Tochter des Schulleiters aufgefallen - ein flotter Teenager -, weil
sie uns Jungs allesamt von oben bis unten musterte. Als es dunkel war,
kam sie nachts in unseren Schlafsaal geschlichen. (Ein taffes Mädel,
das sich in einen Raum traut, in dem eine Horde dreizehnjähriger
pubertierender Jungs schläft.) Und dann erklärte sie sich auch noch
freiwillig bereit, mit einem von uns zu knutschen.
Meine Hand schoss sofort wie eine Rakete in die Höhe und dann
kam sie direkt auf mich zu und klatschte mir ihre Lippen auf den
Mund. Da ich als Dreizehnjähriger schließlich noch nicht wusste,
dass es durchaus möglich ist, gleichzeitig zu atmen und zu küssen,
musste ich mich eine halbe Minute später notgedrungen von ihren
Lippen losreißen und rang hektisch nach Luft. Sie schaute mich völlig
entgeistert an, als wäre ich total bekloppt und rannte hinaus.
Doch als sie hinausrauschte, lief sie schnurstracks ihrem Vater in
die Arme, der sich auf seinem nächtlichen Schulleiter-Kontrollgang
befand. Deshalb dachte sie sich wohl die Geschichte aus, dass wir Jungs sie in unseren Schlafsaal gelockt und ich schließlich versucht
hätte, sie zu küssen!
Und das war's dann.
Ich wurde höflich „gebeten" die Schule zu verlassen, zusammen
mit einer Reihe anderer Unruhestifter, die meist mit mir zusammen
diese ärgerlichen Zwischenfälle verursacht hatten.
Doch da die Sommerferien unmittelbar bevorstanden, dauerte es
nach unserem „Schulverweis" nicht lange, bis wir allesamt wieder zurückbeordert wurden. Unsere Eltern hatten sich zusammengetan und
gemeinsam beschlossen, dass die beste Strafe für uns darin bestünde,
dass man uns in die Schule zurückschickt, sobald das Trimester beendet war und uns dazu
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