Schlangenfluch 2: Ravens Gift (German Edition)
kürzeste Weg führte hierdurch. Tom wartete, bis kein Fußgänger in der Nähe war. Dann stieg er aus. Nur ein paar Schritte und er verschwand zwischen den Häuserwänden. Eine Frau kam aus einer Seitengasse. Tom ging schneller. Als er mit ihr auf einer Höhe war, wandte er sich ab. Sie ging vorbei.
Gleich hatte er es geschafft. Ein helles Gebäude mit einem Bogeneingang und einer altertümlichen Eisentür erschien vor ihm. Das musste es sein. Noch einmal tief einatmen, Mütze ins Gesicht und beten, dass er schnell über die Straße kam. Ein Auto hupte, dann noch eins. Tom wich einem Radfahrer aus. Endlich stand er vor der Tür, die eher zu einer Burg als zu einem Bürohaus gepasst hätte. Schwitzende Hände, wacklige Knie, aber er war da.
Das Messingschild verwies in den zweiten Stock. Eine Reihe Behandlungsmethoden wurden aufgeführt, Lasern, Dermabrasion, Peelen. Wusste Baxter, was ihn erwartete? Tom wollte sich keine Hängelider richten lassen, er brauchte ein Gesicht, das andere nicht zum Ausspeien nötigte.
Aus dem Lloyds Building gegenüber kam ein Mann in Poloshirt und mit Rucksack auf dem Rücken. Neben ihm ging ein Junge. Sie waren noch weit genug weg.
Tom drückte gegen die Tür, sie rührte sich nicht. Die beiden kamen näher. Er schlug auf den Klingelknopf ein. Keine Panik, Baxter hatte gesagt, dass der Termin nach seiner Sprechzeit lag. Wahrscheinlich hatte jemand beschissen Beflissenes in einem kranken Anfall von Sicherheitsbedürfnis abgeschlossen. Sicherheit. Es gab sie nicht. Wusste das niemand außer ihm?
Die Schritte wurden lauter. Tom klingelte wieder. Nichts geschah. Herrgott noch mal ! Auf dem Namensschild über der Praxis stand J. Baxter. Seine Privatwohnung? Tom klingelte auch dort.
„Dad, guck dir den Typen an!“
Mistbalg. Geh weiter.
„Ey, der hat voll die fiese Fratze! Das totale Pizza-Face!“
„Quentin, bitte! Nicht so laut, das kränkt den armen Jungen.“
Mach auf, mach bitte, bitte endlich auf!
„Igitt, dem läuft beim Essen bestimmt der Sabber aus dem Mund. Wie dem Zombie aus …“
Der Summer. Gott sei Dank. Tom flüchtete vor der Kinderstimme, die ihm die Wahrheit ins Hirn ätzte. Das hier war nicht sein Leben. Niemals. Sein Leben war leicht, heiter. Es spielte sich in Clubs und Hörsälen ab. Dann war Samuel gekommen und hatte es ihm entrissen. Tom presste die Stirn an die Glasfläche der Windfangtür. Konnte Hass einen von innen zerfressen? Der Junge da draußen hielt ihn für ein Monster. Aber das war er nicht. Samuel war es. Warum hatte ihn James nicht einfach erschossen? Warum dieses Spielchen mit Laurens? Er hatte sich bestens in diesem Käfig gemacht.
Oben klappte eine Tür. Tom atmete tief durch. Er würde jetzt da hochgehen und sich die Visage richten lassen. Egal, wie viel es kostete.
Baxter wartete mit freundlichem Lächeln, bis Tom vor ihm stand. Er war kaum größer als Tom. Hatte Hängeschultern und einen Bauchansatz. „Schön, dass Sie den Weg zu mir auf sich genommen haben.“ Dr. Baxter lächelte noch eine Spur freundlicher und streckte Tom die Hand hin. Sie war weich wie sein Händedruck. „Kommen Sie herein. Darf ich Ihnen einen Tee anbieten? Dann redet es sich leichter.“
Mitleid. Bei jedem Wort schwang es mit. Tom sparte sich ein Lächeln. Zum Heucheln konnte er sich nicht aufraffen und so wie Baxter ihn ansah erwartete er es auch nicht.
Moderne Sterilität in Weiß und Metall. Die Praxis war geschmackvoll, aber unpersönlich eingerichtet. Außer ihnen schien niemand hier zu sein. Auch der Empfangsschalter war unbesetzt.
In einem Besprechungszimmer, größer als seine Wohnung, schob Baxter einen Freischwinger für ihn zurecht. „Mit meinen Aushängeschildern haben Sie sich bereits vertraut gemacht?“ Er wies auf einen Prospektfächer auf dem Tisch. „Mein Kollege bringt sie unters Volk. Werbung schadet nie.“ Sein Blick fiel auf den Desktop eines Computers. Plötzlich wurde Baxter rot, eilte zum Schreibtisch und klickte das Bild weg. Seine schlaffen Wangen bebten, als er sich wieder Tom zuwandte. „Ich hole uns jetzt erst einmal einen Tee, und Sie entspannen sich ein wenig.“ Der Seitenblick, den er Tom zuwarf, wirkte gehetzt und beim Rausgehen tupfte sich Baxter die Stirn mit einem Taschentuch. Tom wartete, bis er keine Schritte mehr hörte und ging zum Schreibtisch. Was immer Baxter auf dem Bildschirm gehabt hatte, war ihm peinlich gewesen. Es konnte nicht schaden, mehr über den Mann herauszubekommen. Tom öffnete die Chronik
Weitere Kostenlose Bücher