Schlangenhaus - Thriller
geboren worden. Violet und diese Ruby müssen da was durcheinandergebracht haben.«
»Werden Sie mit Ruby sprechen?«
»Vor Ihren Füßen liegt ein roter Aktenordner. Kommen Sie da ran?«
Ich bückte mich und fand den Ordner auf dem Boden des Fußraums.
»Machen Sie ihn auf.«
Ich tat wie geheißen und sah ein großes Porträtfoto vor mir. »Erkennen Sie diesen Mann wieder?«, wollte Matt wissen.
Ich betrachtete das Farbfoto eines Mannes Ende sechzig, vielleicht auch Anfang siebzig. Sein dichtes Haar war weiß; hinten war es kurz geschnitten, fiel ihm vorn jedoch in die Stirn. Die blauen Augen mit den schweren Lidern standen ein wenig schräg. Ein großer Mund. Er war ein gut aussehender Mann gewesen. Sah immer noch gut aus.
»Ist das der Mann, der bei Ihnen eingebrochen ist?«, fragte Matt.
Ich wusste, dass es nicht so war, doch ich ließ mir Zeit. Betrachtete noch einmal das Gesicht, studierte die Angaben, die in der Ecke ausgedruckt waren. Ungefähre Körpergröße: 188 cm.
»Nein«, antwortete ich widerstrebend. Das Bild hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem Mann, den ich in meiner Küche gesehen hatte, oder mit dem Gesicht im Fenster des Hauses der Witchers. »Warum…?«
»Das ist Archie Witcher«, sagte Matt. »Wir haben ihn gefunden. Na ja, fast. Er lebt seit dreißig Jahren in South Carolina, leitet dort eine Kirche. Das Foto haben wir von der Website der Kirche.«
»Sie haben ihn fast gefunden?«
»Wir wissen noch nicht ganz genau, wo er ist. Aber wir sind auf Berichte über einen Skandal in seiner Kirche gestoßen. Anscheinend ist langes Fasten in dieser spezifischen Gemeinde ein wichtiger Bestandteil des Gebets. Er bestärkt die Leute darin, wochenlang nichts zu essen. Jedenfalls ist ein junges Mädchen gestorben, und es gibt Gerüchte, dass sie gefesselt worden sein soll. Ihre Eltern befinden sich in Polizeigewahrsam, und gegen Archie ist ein Haftbefehl erlassen worden. Sein gegenwärtiger Aufenthaltsort ist unbekannt. Es wäre möglich, dass er nach England zurückgekehrt ist. Sind Sie sicher, dass das nicht der Mann ist, den Sie gesehen haben?«
Noch einmal blickte ich auf das Foto hinunter, doch die Antwort blieb dieselbe. »Nein. Der Mann, den ich gesehen habe, war auf keinen Fall so groß. Und er hat ausgesehen wie Walter.«
»Okay, na schön, wir stehen mit der Polizei dort drüben in Verbindung und haben bei der Einreisebehörde nachgefragt. Wenn Archie Witcher heimgekehrt ist, finden wir ihn. Aber ich glaube wirklich nicht, dass die Witcher-Spur irgendwohin führt.«
Er hatte recht. »Allan Keech und seine Gang«, meinte ich. »Die waren gestern Abend unterwegs. Das könnten durchaus zwei von denen gewesen sein, die ich da Schlangen habe einfangen sehen. Warum sollten sie das tun, wenn nicht…«
»Warum haben Sie mich nicht angerufen? Ich habe Ihnen
doch gesagt: Wenn irgendwas passiert, rufen Sie mich an. Fällt durch Wasserrohre und verlassene Kalkminen gejagt zu werden nicht unter ›irgendetwas‹?«
»Es war spät.« Und mit Ihnen zu sprechen, tut weh, jedes Mal ein bisschen mehr.
»Wir haben doch schon klargestellt, dass ich ein Nachtmensch bin.« Matt lächelte schwach. Ich versuchte, das Lächeln zu erwidern, brachte es jedoch nicht ganz fertig.
Wir waren wieder im Dorf und bogen in die Bourne Lane ein. Schweigend fuhren wir sie hinunter, und Matt hielt vor meinem Haus.
»Danke«, murmelte ich, während ich mich anschickte, die Wagentür zu öffnen. Ich fühlte, wie eine Hand meinen Arm berührte. Matt sagte nichts, also drehte ich mich zu ihm um.
»Ich gebe Ihnen einen Rat«, sagte er. »Absolut inoffiziell.«
Ich wartete.
»Erstens sollten Sie ein paar Tage bei Ihrer Familie bleiben. Nehmen Sie sich Urlaub, und sorgen Sie dafür, dass wir wissen, wo wir Sie finden können, aber bleiben Sie ansonsten vom Dorf weg. Geben Sie uns Zeit, das alles aufzuklären.«
»Okay.« Das klang durchaus nachvollziehbar, sogar vernünftig.
»Zweitens, und das ist sehr wichtig, halten Sie sich von Sean North fern.« Das kam so vollkommen aus heiterem Himmel, dass ich kurz brauchte, um es zu verarbeiten.
»Sean North war sechs Monate im Ausland«, wandte ich ein. »Er ist erst am Samstag zurückgekommen. Da kann er doch unmöglich…«
»Nein, ist er nicht.«
»Doch, er ist direkt vom Flughafen gekommen, um sich mit mir zu treffen und den Taipan zu identifizieren.«
»North ist letzten Mittwoch vor einer Woche in Heathrow durch die Einreisekontrolle gekommen. Seitdem war er in
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