Schlangenhaus - Thriller
war der richtige Moment. Für den letzten wütenden Blick, das schroffe Kehrtmachen, den Abgang. Seine linke Hand streckte sich vor, und er zog mit einem Finger die Linie meiner Wange nach, strich an der rechten Seite meines Gesichts hinunter.
»Du bist schön.« Jetzt flüsterte er. Dann glitt sein Finger weiter, unter meinem Kinn hindurch und wieder aufwärts, über das faltige, wulstige Gewebe auf der linken Seite. »Und du hast diesen wunden Punkt. Das macht dich ungeheuer faszinierend.«
Der Raum wurde dunkel, und alles, was ich hören konnte, war das Brüllen des Meeres fünfzig Meter unter mir. Erst später, als er um ein Winziges zurückwich, wurde mir klar, dass er mich geküsst hatte.
Ich zitterte und hatte keine Ahnung, was ich tun oder sagen sollte. Ich wusste nicht einmal, was ich denken sollte. Seine Arme umfingen mich, sein Körper war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt, unsere Wangen berührten sich noch
immer. Ich hatte vergessen, dass er roch wie Tropenwälder im Morgengrauen. »Bleibst du?«, flüsterte er.
»Warum?«, brachte ich durch eine Kehle hervor, die sich anfühlte wie zugenäht. Und meine dämliche Frage zerschmetterte den Augenblick wie ein Hammer Kristall.
Sean lachte, und seine Arme sanken herab. Kopfschüttelnd trat er einen kleinen Schritt zurück. »Na ja, ich hatte gehofft, wir würden miteinander schlafen, aber wenn dir was anderes vorschwebt…«
Meine Hände fuhren nach oben zu meinem Gesicht. Für was für eine Idiotin musste er mich halten?
»Vielleicht ein andermal?«, schlug Sean vor.
»Es tut mir leid. Ich muss gehen, ich hätte nicht…« Hastig drehte ich mich um, und diesmal hielt mich nichts zurück. Ich rannte in die Küche. Meine Hand lag an der Hintertür, als er nach mir rief.
»Warte. Ich muss dir noch was geben.«
Ich blieb stehen und wagte es kaum, mich zu ihm umzudrehen, doch ich konnte hören, wie er die Kühlschranktür öffnete. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie er mir etwas hinhielt. Es war eine kleine Schachtel, die mehrere winzige Ampullen enthielt. Ich nahm sie, las das Etikett und blickte Bestätigung heischend zu ihm auf.
»Das ist das Antiserum für Taipanbisse«, sagte er. »Ich hab’s unter der Hand gekriegt, von einem Freund im Londoner Zoo. Wenn du gebissen wirst, musst du ins Krankenhaus. Wenn das nicht geht – na ja, ich nehme an, du kannst es selbst injizieren, wenn’s sein muss – hast du Spritzen und all so was?«
Ich nickte.
»Damit müssen wir fürs Erste auskommen«, fuhr Sean fort. »Ich habe bei den Giftzentralen in London und Liverpool nachgefragt, aber die haben keins vorrätig. Sie haben jetzt welches bestellt, wo sie wissen, dass es illegal eingeführte Taipane im Land gibt, aber es kann Tage dauern, bis das Zeug da ist.
Stell das hier kalt und halte es griffbereit. Wenn du gebissen wirst, bleiben dir Stunden – das weißt du doch, oder?«
»Sean, das brauchst du selber. Du bist doch derjenige, der sich um den Taipan kümmert.«
»Clara die Krötige ist vollkommen ungefährlich. Mit einer Schlange im Gehege komme ich klar. Aber ich hatte Zeit, mir die Haut anzusehen, die du mir gegeben hast. Sie stammt definitiv von einem Taipan, aber nicht von Clara. Ist ein ganzes Stück größer, und die Schuppenzeichnung ist anders. In deinem Dorf könnte sich durchaus noch ein anderer Taipan herumtreiben. Bitte sei vorsichtig.«
Ich verließ das Haus und ging langsam zu meinem Auto zurück. Sean kam mit; er sagte nichts, doch als er mir die Autotür öffnete und ich einstieg, legte er eine Hand über meine auf dem Lenkrad.
»In Papua-Neuguinea sieht man Taipane inzwischen auch in der Nähe von Häusern«, sagte er. »Anscheinend haben sie begriffen, dass es da, wo Menschen sind, auch Nahrung gibt. Das ist eines von den Dingen, die wir erkunden werden, wenn wir dort rausfahren.«
»Aber Schlangen meiden doch Menschen.«
»Normalerweise schon. In manchen Teilen Asiens wagen sie sich aber auch in die Dörfer. Und in Papua-Neuguinea wird das mittlerweile zu einem ziemlichen Problem.«
»Wenn da draußen also noch eine herumkriecht, dann können wir uns nicht einfach darauf verlassen, dass sie sich in die Wildnis zurückzieht.«
»Ich würde nicht darauf bauen.«
Ich ließ mir einen Augenblick Zeit, um darüber nachzudenken, was es bedeutete, wenn Giftschlangen menschliche Behausungen heimsuchten.
»Sei vorsichtig«, sagte er noch einmal. Ich nickte, und er trat zurück und schloss die Tür. Allerdings war das
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