Schlangenhaus - Thriller
ein.
… das ist alles, was es ist, wissen Sie, eine Narbe.
Die Frau am Empfangstresen blickte auf und lächelte.
Ich kann doch unmöglich der einzige Mann auf der Welt sein, der Sie umwerfend findet.
Konzentrier dich!
Fünf Minuten später führte eine Pflegerin mich durch ein von natürlichem Licht durchflutetes, modernes Gebäude. Die meisten Fenster waren offen. Ich konnte frischen Kaffee und vor nicht langer Zeit gemähtes Gras riechen.
»Es ist wunderschön hier«, sagte ich, als wir um eine Ecke bogen und einen kurzen Korridor entlanggingen.
»Vielen Dank«, antwortete meine Führerin. »Wir haben erst vor sechs Monaten geöffnet. Walter war einer unserer ersten Gäste.«
»In Ihrer Nachricht haben Sie angedeutet, dass er sehr krank ist.«
Die Pflegerin blieb vor einer weiß gestrichenen Tür stehen und berührte die Klinke. »Ich fürchte, so ist es auch. Als er hierherkam, hatte er gerade eine sehr schwere Lungenentzündung hinter sich. Ganz ehrlich, wir haben nicht erwartet, dass er so lange durchhält. Sie sind nicht mit ihm verwandt, nicht wahr? Er hat gesagt, er hat keine Angehörigen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nur eine Bekannte.«
»Nun, es wird ihn freuen, dass er endlich Besuch bekommt. Sechs Monate, und Sie sind die Erste.«
Sie klang missbilligend, doch jede Verteidigung, die ich hätte vorbringen können, hätte viel zu lange gedauert. Allerdings war mir jetzt, wo es ernst wurde, doch sehr beklommen dabei zumute, diese Tür zu öffnen und einzutreten.
»Verlässt Ihr Patient jemals das Hospiz?«, fragte ich, unsicher, wie ich die Frage formulieren sollte, die in meinem Kopf ganz zuoberst lag. »Für kurze Besuche? Es ist nur, jemand hat gesagt, er hätte Walter im Dorf gesehen.«
Energisch schüttelte sie den Kopf. »Vollkommen unmöglich. Walter hat keinen Schritt getan, seit er hierhergekommen ist. Er kann nicht mal allein stehen. Er ist aber durchaus bei klarem Verstand, Sie werden mit ihm plaudern können. Also gut. Guten Morgen, Walter, hier ist eine junge Dame, die Sie besuchen möchte.«
Und da war er. Mein alter Freund. Mein Gespenst. Mein Hauptverdächtiger für die schrecklichen Verbrechen, die sich abgespielt hatten. Ach, Walter, ich hätte es besser wissen müssen.
Seine blassblauen Augen sahen zu, wie ich auf das Bett zuging.
Er war genauso, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Ein schlichtes, gutmütiges Gesicht, Nase und Kinn ziemlich groß, der flaumige graue Haarkranz. Derselbe, aber irgendwie kleiner, vielleicht ein wenig dünner und weniger, als verblasse die Essenz seines Lebens stündlich mehr.
»Hallo«, brachte ich heraus und fühlte, wie mir die Kehle eng wurde und mein Kiefer zu schmerzen begann. »Erinnern Sie sich noch an mich?«
Ich hörte das Geräusch einer sich schließenden Tür und wusste, dass Walter und ich allein waren. Seine Lippen bewegten sich. Er versuchte zu sprechen, doch die Laute hatten Mühe, hervorzukommen. Wahrscheinlich waren seine Stimmbänder außer Übung. Ich neigte mich weiter vor, bis ich über das Bett gebeugt dastand.
»Dieses Karnickel, das Sie zusammengeflickt haben, hat sich inzwischen bestimmt an meinen Salat rangemacht«, krächzte er.
Mir entfuhr ein Laut, der halb Lachen und halb Aufschluchzen war. Ich setzte mich auf einen Stuhl neben Walters Bett und ergriff seine Hand. Sie war mir als groß in Erinnerung geblieben, eine Gärtnerhand. Groß war sie immer noch, aber sehr schwach.
»Ich war neulich Abend in Ihrem Garten«, berichtete ich. »Es sieht sehr schön aus dort. Viele von den Rosen sind aufgeblüht. Und man kann sie riechen, wenn man den Weg herunterkommt. Besonders die gelben, die dicht am Gartentor wachsen.«
Ich erzählte noch ein Weilchen weiter; ich ahnte, dass Neuigkeiten von seinem kostbaren Garten Walter mehr bedeuten würden als alles andere. Seine Lippen verzogen sich zu einem schwachen Lächeln, und er nickte ein paar Mal mit dem Kopf. Als mir nichts mehr einfiel, was ich über den Garten sagen könnte, entschuldigte ich mich dafür, dass ich ihn nicht schon früher besucht hatte.
»Ich hatte keine Ahnung, dass Sie hier sind«, erklärte ich
und wusste genau, dass ich ihm wohl kaum sagen konnte, dass seine eigene Frau die verfrühte Kunde von seinem Tod verbreitet hatte. »Ich glaube nicht, dass irgendjemand das weiß. Sonst gäbe es bestimmt Leute, die Sie gern besuchen kommen würden.«
»Wissen Sie, Edeline ist gestorben«, sagte er, und ich fragte mich, ob er ahnte, was sie getan hatte.
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