Schlangenhaus - Thriller
Hals gerichtet. North macht einen Schritt rückwärts, damit ich noch näher an den Bildschirm herantreten konnte.
»Sagen Sie mir, was Sie sehen«, wies er mich an.
Ich schaute hin. Ich konnte zwei Einstichwunden sehen, jeweils von ungefähr vier Millimeter Durchmesser, knapp zwanzig Millimeter voneinander entfernt, direkt über dem Schlüsselbein. »Tut mir leid«, setzte ich an, »aber …«
»Kann die Kamera auch vergrößern?«, rief North. Gleich darauf wurde das Bild doppelt so groß.
»Denken Sie daran, wie eine Viper zustößt«, forderte North mich auf. »Erzählen Sie mir, was Sie darüber wissen.«
Ich dachte nach. Manche Schlangen, Kobras zum Beispiel, haben relativ kurze, feststehende Fangzähne. Die Fänge einer Viper sind sehr viel länger. Sie drehen sich um einen Angelpunkt, springen vor, wenn sie zum Einsatz kommen, und ruhen horizontal im Kiefer, wenn sie nicht benötigt werden.
»Sie haben lange Fangzähne«, sagte ich. »Die Wunden müssten tief sein.«
»Was diese hier natürlich auch sind. Weiter …«
»Vipern sind Schlangen, die zuschlagen und wieder loslassen«, fuhr ich fort. »Sie beißen einmal sehr fest zu, wobei sie die Unterkiefer dazu benutzen, die Fänge tiefer in ihre Beute hineinzubohren, und dann lassen sie wieder los.«
»Wie viele Zähne haben sie im Unterkiefer?«
»Normalerweise zwei Reihen.«
»Wenn also der Unterkiefer ein wesentlicher Anteil des Beißmechanismus ist, würden Sie dann damit rechnen, Spuren der unteren Zähne zu sehen?«
Ich blickte zu ihm auf und vergaß, dass ich mich geärgert hatte. Dann sah ich abermals die Wunde an.
»Ja«, sagte ich. »Ja, damit würde ich rechnen.«
Harry Richards hielt die Kamera ruhig, blickte jedoch immer wieder kurz zu uns herüber. Selbst die beiden Pathologiegehilfen schienen das Ganze inzwischen interessant zu finden.
»Da ist nichts«, sagte Richards. »Überhaupt keine Zahnabdrücke unterhalb der Wunde.«
North achtete nicht auf ihn. »Was ist mit den oberen Zähnen?« , wollte er von mir wissen.
»Vipern haben weniger obere Zähne als andere Schlangen.« Ich gab mir alle Mühe, mich daran zu erinnern, was ich damals gelesen hatte, als ich mit Schlangen gearbeitet hatte. »Sie haben da eine Lücke, damit die Fangzähne nach hinten klappen können.«
»Ein Diastema«, lieferte North das passende Stichwort.
»Aber Zähne haben sie trotzdem im Oberkiefer. Zwei Reihen, glaube ich.«
»Sehen Sie irgendwelche Zahnspuren?«
Ich schüttelte den Kopf.
Mittlerweile stand ich auf Zehenspitzen, um näher an den Bildschirm heranzukommen. North legte mir die Hand auf die Schulter, um mir Halt zu geben.
»Schauen Sie sich die Einstiche an«, sagte er. »Denken Sie daran, wie die Fangzähne in die Beute eindringen …«
Ich schaute. Was genau sollte ich dort sehen?
»Denken Sie daran, wie sie wieder aus der Beute austreten …«
Natürlich! »Die Haut wäre eingerissen. Nur ein wenig, wenn die Fangzähne herausgezogen werden. Das Gewebe würde zerreißen, die Wunden wären nicht ebenmäßig, man könnte den Winkel einschätzen, aus dem die Schlange zugestoßen hat.«
»Sehen Sie etwas dergleichen?«
Ich sah North an, dann den Bildschirm, dann wieder North. Er lächelte mich an. Ich stellte fest, dass ich zurücklächelte. »Nein«, antwortete ich. »Sie sind vollkommen glatt.«
»Okay, Leute, ich habe hier wirklich jede Menge Geduld«, mischte Richards sich ein. »Mag mir mal jemand sagen, was Sache ist?«
North trat zurück, ließ jedoch die Hand auf meiner Schulter liegen. Seltsamerweise machte es mir nichts mehr aus.
»Ihr Patient da drin ist an einer Intoxikation durch Kreuzottergift gestorben«, verkündete er.
»Ja«, knurrte Richards ungeduldig. »Das wissen wir doch…«
»Was sehr interessant ist. Wenn man bedenkt, dass er gar nicht von einer Schlange gebissen wurde.«
12
»Wollen Sie damit sagen, jemand hat John Allington Kreuzottergift injiziert?« Wir waren auf dem Rückweg von der Pathologie. Richards klang ziemlich ungläubig. Fairerweise konnte ich ihm deshalb keinen Vorwurf machen. »Ist denn so etwas auch nur annähernd möglich?«, fuhr er fort.
»Ist kinderleicht, wenn das Opfer bewusstlos ist«, erwiderte North. »Nach dem, was ich gehört habe, hat John Allington einen Schlag auf den Kopf bekommen?«
»Er ist gestürzt«, wehrte Richards ab.
»Sind Sie sicher?«, fragte North.
Keine Antwort.
»Jeder, der sich mit Schlangen auskennt, könnte einer Kreuzotter das Gift abmelken«,
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