Schlangenhaus - Thriller
fuhr North fort. »Wenn man mehrere Tiere melkt – so ungefähr sechs müssten reichen –, hat man eine Konzentration, die in John Allingtons Blut gefunden wurde.«
»Und man kann jemandem das Zeug einfach so spritzen?«, wollte Richards wissen. »Mit einer … Womit? Mit einer normalen Spritze und einer Kanüle? Das geht?«
North zuckte die Achseln. »Hab’s selbst noch nie versucht, aber ich wüsste nicht, wieso nicht«, brummte er. »Im Falle unseres Freundes würde ich sagen, das Gift wurde sehr tief ins Gewebe injiziert. Die Bissstelle selbst war kaum geschwollen – das war das Erste, was mich misstrauisch gemacht hat –, und dann, denke ich, hat jemand einen dünnen, scharfen Gegenstand genommen, einen kleinen Schraubenzieher oder etwas Ähnliches, und diese beiden Punkturen gesetzt, um den Einstich von der Kanüle zu verbergen.«
Richards war stehen geblieben. Er sah North an. »Ein Schlag auf den Kopf, sagen Sie?«
North furchte die Stirn. »Na ja, sagen wir einfach, eine Kopfverletzung. Ursache unbekannt.«
»Was ist denn los?«, fragte ich.
Richards blickte von North zu mir.
»Nick Poulsons Schwiegervater ist gestern Nacht auch aufgenommen worden«, sagte er. »Eigentlich sogar die ganze Familie, aber die Mutter und die Kinder sind gleich heute früh entlassen worden.«
North und ich warteten.
»Der alte Herr hatte eine leichte Gehirnerschütterung«, sagte Richards nach einem Augenblick des Zögerns. »Er hatte sich irgendwo den Kopf angeschlagen.«
»Auf seinem Kissen war Blut«, sagte ich. »Und die Polizei hat eine tote Kreuzotter in seinem Zimmer gefunden.«
Wir standen da, mitten im Korridor, während Klinikpersonal und Besucher auswichen, um an uns vorbeizukommen. Anscheinend fiel niemandem ein passender Kommentar ein. Hatte Ernest Amblin genauso sterben sollen wie John Allington? Schließlich war ich diejenige, die das Schweigen brach.
»Ich glaube, Sie müssen mit der Polizei reden«, sagte ich zu Richards. Der Arzt setzte zu einem Nicken an.
»Augenblick mal«, fuhr North dazwischen. »Wir wollen doch nicht, dass halb Südengland in Schlangenhysterie verfällt. Warum schauen wir nicht erst mal, ob der Mann mit uns redet, bevor wir in Panik geraten? Er ist doch gar nicht von der Kreuzotter gebissen worden, oder?«
»Nein, aber …«
»Was meinen Sie? Kann er Besuch empfangen?«
Ernest Amblin war nicht nur bereit, mit uns zu sprechen, er war ganz wild darauf. North und ich warteten nur ganz kurz vor dem Stationszimmer, ehe Richards uns winkte. Als wir zu seinem Bett traten, das am Fenster stand, stemmte der alte Mann sich im Bett hoch, und ich begriff, dass ich ihn gestern Abend im Haus von Clive Ventry gesehen hatte. Er war einer
von den fünf alten Leuten gewesen, die an dem langen Tisch weiter hinten gesessen hatten.
»Diese Schlange, die Sie gefunden haben«, fing er an, als wir noch gar nicht ganz bei ihm angekommen waren, »die Giftschlange. Wissen Sie, was das für eine ist?« Er sah mich unverwandt an, sprach ausschließlich mit mir.
Verstohlen warf ich North einen raschen Blick zu, als Dr. Richards vortrat und das Kopfende des Bettes anhob, damit Dr. Amblin sich anlehnen konnte. North bedeutete mir mit einem Kopfnicken, die Frage zu beantworten, während Richards sich vergeblich bemühte, Dr. Amblin dazu zu bringen, sich zurückzulehnen.
»Wir glauben, es ist ein Taipan«, sagte ich und wandte mich wieder an den alten Mann. »Die kommen in der südlichen Hemisphäre vor, in Australien und Papua-Neuguinea. Aber wir sind der Auffassung, dass es nicht diese Schlange war, die Ihren Schwiegersohn gebissen hat.«
»Ja, ja«, fiel mir Dr. Amblin ins Wort. »Aber sind Sie sicher? Dass die Schlange aus der südlichen Hemisphäre stammt? Sie kann nicht von woanders sein?«
»Woher denn zum Beispiel?«, erkundigte sich North.
»Oh, Entschuldigung«, meldete sich Richards zu Wort. »Dr. Amblin, das ist …«
»Zum Beispiel aus Afrika«, antwortete Amblin schroff. »Oder …« Sein Blick huschte von North zu mir; seinen Arzt ignorierte er vollkommen. »… oder aus Nordamerika? Wäre das möglich? Könnte sie aus Nordamerika stammen?«
Unsicher, was ich erwidern sollte, sah ich abermals North an.
»Nein«, sagte dieser, ohne den Blick von Amblin abzuwenden. »Es sind noch nie Taipane außerhalb von Australasien gefunden worden. Und die einzige Elapidae in Nordamerika ist die Korallenschlange. Die ist sehr leicht zu erkennen, sie hat bunte Streifen. So eine Schlange ist es
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