Schlangenhaus - Thriller
schwachen Geräusche bestimmt eher gehört, die von der Wiese auf der anderen Seite des Pfades herüberdrangen. Ich hätte Gefahr gespürt, eine unmittelbare Bedrohung, dass jemand sich an mich heranpirschte. Allerdings fing ich die leisen, zischelnden Raschellaute auf, die mir verrieten, dass irgendetwas – ein großes Säugetier – sich hinter der anderen Hecke durchs hohe Gras bewegte. Ich blieb stehen. Absolute Stille.
Dann ging ich weiter, und mir war bewusst, dass ich mich
immer weiter vom Dorf entfernte und damit auch von jeder möglichen Hilfe, falls das kein Fuchs oder Dachs gewesen war, was ich eben gehört hatte.
Nach zehn Metern wieder ein Geräusch. Ein kleiner Stein stieß klappernd gegen einen größeren. Dort war definitiv etwas. Irgendetwas war mir gefolgt. Würde ein Tier das tun? Würde es Neugier die Oberhand über die Angst gewinnen lassen? Keins von denen, mit denen ich regelmäßig Umgang hatte. Lauschend stand ich da und wusste, dass nur ein kleines Stück entfernt, hinter einer dünnen Hecke aus Haselnussbäumchen und Holunderbüschen, irgendetwas anderes genau dasselbe tat: still stehen und horchen. Ich hörte nichts, doch jedes einzelne Härchen sträubte sich mir.
Ich machte zwei Schritte nach hinten und rechnete insgeheim damit, dass gleich etwas durch die Hecke brechen und sich auf mich stürzen würde. Noch ein Schritt. Ich zögerte, machte kehrt und setzte mich von Neuem in Bewegung, machte die größten Schritte, die ich zustande brachte, und schaute alle paar Sekunden über die Schulter. Dabei glaubte ich immer noch Bewegung auf der Wiese hören zu können, doch ich war jetzt selbst nicht gerade leise, und es war unmöglich, es mit Sicherheit zu sagen. Noch immer war ich ein gutes Stück vom Hauptteil des Dorfes entfernt und ganz bestimmt außer Hörweite, falls ich um Hilfe rufen musste.
Ich rannte los. Eine dunkle Gestalt trat vor mir auf den Weg. Und noch eine zweite. Abrupt hielt ich an. Hinter mir hörte ich ein Geräusch und drehte mich um. Jemand drängte sich durch die Hecke auf den Weg. Eine vierte Silhouette folgte, dann eine fünfte. Fünf gegen einen. Kein gutes Kräfteverhältnis.
20
Kein Fluchtweg. Resolut schritt ich weiter, spürte sie von hinten näher kommen, wusste aber auch, dass mir eine oder zwei Sekunden blieben, ehe sie mich eingeholt hatten.
»Entschuldigung!«, sagte ich und war erleichtert, dass meine Stimme gereizt klang. Die beiden Gestalten vor mir rührten sich nicht vom Fleck. Das hatte ich eigentlich auch nicht erwartet, doch ich war schon früher in solchen Situationen gewesen. Ich wühlte die rechte Hand in meine Jackentasche, fand den Gegenstand, von dem ich genau wusste, dass er sich dort befand, und schlang die Finger darum. Dann blieb ich stehen, zwei Meter von ihnen entfernt, und drehte mich ein wenig, so dass ich sehen konnte, wie die anderen drei aufschlossen.
Das Schlimmste, was ich tun könnte, wäre, Furcht zu zeigen. Wenn sie sahen, dass ich Angst hatte, war ich geliefert. Sie waren jung – was gut war –, und höchstwahrscheinlich von hier – sie sahen aus, als wären sie kaum alt genug, um Auto zu fahren, und es gab kein anderes Dorf in Gehweite. Das war auch gut. Dann konnte man sie zur Verantwortung ziehen. Das hier musste die Gang sein, von der Sally gesprochen hatte, die Kids, die bei dem Grundstück der Witchers herumgelungert hatten. Wahrscheinlich jene Bande, auf deren Konto all die mutwilligen Zerstörungen in letzter Zeit gingen.
»Du hässliche Zicke!«, rief eine Stimme hinter mir. Eine Mädchenstimme. Ich trat einen Schritt vor, kam fast nahe genug heran, um sie zu berühren, und starrte dem, den ich für den Anführer hielt, geradewegs in die Augen. Er war groß, gut über eins achtzig, mit leuchtend rotem Haar und von Aknenarben gezeichneter Haut. Älter als siebzehn konnte er nicht sein, aber wahrscheinlich war er stark. Er hielt meinem
Blick stand, doch in seinen Augen lag etwas, das sich nicht ganz sicher war, etwas, das mir Hoffnung machte. Der Junge neben ihm, das Haar unter einer Kapuze verborgen, sah seinen Freund an, nicht mich. Diese Gang wurde von einer Menge Angeberei zusammengehalten. Ich brauchte bloß die Schwachstelle zu finden und Druck zu machen.
»Haste mal ’ne Mülltüte, Nathe?«, rief einer der Jungen hinter mir.
Nathe und sein Kapuzenkumpel kicherten hämisch. Nathe machte einen Schritt vorwärts. Ich konnte seinen Schweiß riechen, abgestandenen Zigarettenrauch und etwas
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