Schlangenhaus - Thriller
streckte die Hand aus und berührte mich am Arm. »Es wird kalt, meine Liebe. Darf ich Sie zu Ihrem Wagen begleiten?«
Die Vorstellung, dass ich den Geleitschutz eines gebrechlichen alten Mannes benötigte, war erheiternd, aber reizend. Ich dankte ihm und willigte ein. Wir machten uns auf den Weg zum Tor. Nachtgeschöpfe umflatterten uns beim Gehen, und ich sah, wie der Reverend mehrmals zurückzuckte.
»Reverend, ich habe über Walter nachgedacht, über Walter Witcher. Ich habe versucht, mich zu erinnern, wann er gestorben ist. Können Sie mir da helfen?«
Reverend Percy stolperte, und ich streckte die Hand aus, um ihn zu stützen.
»Hmm, lassen Sie mal sehen … danke, meine Liebe.« Er fing sich wieder, und wir gingen weiter. »Es gab keine Beerdigung, nicht wahr? Ich habe es natürlich angeboten, aber Edeline hat gesagt, es sollte ein sehr schlichter Gottesdienst im Krankenhaus stattfinden, und der dortige Pfarrer würde ihn abhalten.«
»Ja, das habe ich auch gehört. Aber ich weiß nicht mehr, wann das war.«
»Lassen Sie mich nachdenken. Im September, oder? Ja, definitiv im September, irgendwann um die Mitte des Monats herum, denn als ich von meinem Besuch bei Edeline zurückgekommen bin, wollte Mrs. Roberts, dass ich mir die Kirche anschaue. Sie hatten sie gerade für das Erntedankfest geschmückt. Es muss also Mitte September gewesen sein.«
Das hatte ich auch gedacht. Warum also war kein amtlicher Beweis für seinen Tod zu finden?
»Haben Sie ihn im Krankenhaus besucht?«
»Ich wusste gar nicht, dass er dort war, meine Liebe. Niemand von den Witchers ist jemals zum Gottesdienst gekommen, in all den Jahren, die ich jetzt hier bin. Wenn es darum ging, etwas über sie zu erfahren, war ich auf andere angewiesen.«
»Natürlich, ich verstehe.« Dann fiel mir etwas ein. »Ich habe das Grab von Harry Witcher gefunden. War das ein Verwandter?«
»Sie interessieren sich ja sehr für die Witchers, meine Teure. Ah, hier ist Ihr Wagen. Und meiner.«
Ich sagte Reverend Percy Gute Nacht und versprach, dass wir uns sehr bald in der Kirche sehen würden. Dann stiegen wir in unsere Autos und fuhren los. Ich folgte ihm die Hügelstraße hinauf, die aus dem Dorf hinausführt, und als ich in die Bourne Lane abbog, fuhr er weiter um die Biegung und verschwand.
Ich parkte in meiner Auffahrt und blickte kurz zu Sallys Haus hinüber. Es war dunkel, und ihr Auto war nirgends zu sehen. Auf dem Nachhauseweg hatte ich bei einem Baugeschäft haltgemacht und vier stabile Riegel erstanden. Ehe ich heute Abend zu Bett ging, würden diese jeweils oben und unten an meinen beiden Türen angebracht werden. Selbst wenn tatsächlich jemand einen Schlüssel für mein Haus besitzen sollte, noch einmal kam er nicht herein, während ich schlief. Wenn ich nicht zu Hause war, sah das Ganze natürlich schon wieder anders aus. Ich musste wirklich die Schlösser auswechseln lassen.
Ich war müde und hatte Hunger. Zuerst fütterte ich die Eulenküken und sah zu, wie sie für heute Abend allmählich zur Ruhe kamen. Mein Kühlschrank war bis zum Rand mit Salatzutaten gefüllt, doch ich konnte mich nicht zu all dem Waschen und Schnibbeln aufraffen. Also machte ich mir eine Schale Müsli, setzte mich an den Tisch und sah zu, wie die Küken herumkrochen und sich eng aneinanderkuschelten. Ich brachte ungefähr die halbe Schale hinunter, ehe ich aufgab.
Einem plötzlichen Impuls folgend, griff ich zum Telefon. Ich fand die Nummer, die ich brauchte, im Telefonbuch und wartete, bis sich eine bekannte Frauenstimme meldete.
»Hier ist Clara Benning, aus Ihrer Straße. Ich hoffe, ich störe –«
»Clara, hi! Wie geht’s Ihnen? Ich wollte gerade Sophia ins Bett bringen. Wollten Sie vorbeikommen und sie sehen?«
»Vielen Dank. Ich habe … Darf ich Sie etwas fragen? Wegen dem Morgen, als Sie die Kreuzotter gefunden haben?«
»Natürlich.« Lynsey Hustons Stimme, eben noch so wach und freundlich, war leiser geworden, verhaltener. Aber wahrscheinlich ist es schwer für eine Mutter, daran erinnert zu werden, wie ihr Kind beinahe ums Leben gekommen ist.
»Als ich an dem Morgen in Ihr Haus gekommen bin, war mir, als hätte ich feuchte Fußspuren im Flur gesehen.«
»Wirklich?« Wieder hellwach, jetzt jedoch nervös.
»Und ich … Ich will Sie nicht beunruhigen, und ich bin sicher, dass es nichts weiter ist, aber …« Ich stockte und bereute bereits, dass ich angerufen hatte.
»Die habe ich auch gesehen«, meinte Lynsey. »Ich dachte, die
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