Schlangenjagd
sie seinem Großvater gehört hatte. Zwischen all den Gegenständen befanden sich außerdem ein paar Briefe von seinen Eltern, seine alte ID-Marke von der CIA, eine kleine vierschüssige Pistole, wie sie ein Berufsspieler auf einem Mississippi-Dampfer bei sich gehabt haben könnte, ein Vergrößerungsglas mit Elfenbeingriff und ein verrostetes Cub-Scout-Taschenmesser.
Ganz hinten in der Schublade stieß sie auf eine mit Einlegearbeiten verzierte türkische Schatulle, und darin machte sie eine Entdeckung, mit der sie niemals gerechnet hätte – einen goldenen Trauring. Es war ein ganz schlichter Ring, und danach zu urteilen, wie wenig zerkratzt er war, dürfte er nicht allzu oft getragen worden sein. Sie fragte sich, welche Frau so dumm gewesen sein konnte, einen Mann wie Juan gehen zu lassen. So einen wie ihn fand man unter einer Million Männer nur einmal, und wenn man das Glück hatte, diesen einen gefunden zu haben, dann sollte man auch alles Erdenkliche versuchen, um die Beziehung zu erhalten. Sie untersuchte die Schatulle ein wenig sorgfältiger und bemerkte ein zusammengefaltetes Stück Papier, das den gesamten Boden bedeckte.
Sie war sich nicht sicher, ob sie ihre Neugier weiter befriedigen sollte, und schaute zu ihm hinüber. Juan schlief fest, und sie angelte das Papier aus der Schatulle. Es war der Polizeibericht über einen Verkehrsunfall in Falls Church, Virginia, der Amy Cabrillo das Leben gekostet hatte. Sloanes Augen wurden feucht. Während sie den amtlichen Bericht las, erfuhr sie, dass der Blutalkoholgehalt von Juans Frau die gesetzlich erlaubte Grenze um fast das Dreifache übertroffen hatte.
Ein Mann wie Juan heiratete nur einmal im Leben, und zwar die Frau, von der er überzeugt war, dass er mit ihr alt werden wollte. Die Tatsache, dass ihm diese Frau diesen Traum genommen hatte, ließ Sloane sie umso mehr hassen. Sie wischte sich die Wange ab, faltete den Bericht sorgfältig und legte alles zurück in die Schublade, so wie sie es vorgefunden hatte. Sie nahm das Tablett und verließ die Kabine.
Linda Ross bog um die Ecke, als Sloane soeben die Tür geschlossen hatte.
»Hi«, sagte Sloane schnell, um ihre Verlegenheit zu kaschieren. »Ich habe Juan nicht beim Essen gesehen, daher wollte ich ihm eine Kleinigkeit bringen. Er schläft aber.«
»Weinen Sie deshalb?«
»Ich …« Sloane kam nicht weiter.
Linda lächelte freundlich. »Machen Sie sich keine Sorgen. Es bleibt unser Geheimnis. Meiner unmaßgeblichen Meinung nach ist er wahrscheinlich der beste Mann, den ich je kennengelernt habe.«
»Haben Sie und er …?«
»Ich gebe zu, dass er verteufelt gut aussieht und dass mir der Gedanke schon kam, als ich das erste Mal an Bord mitfuhr, aber nein, wir haben nicht, und es wird auch niemals so weit kommen. Er ist mein Chef und mein Freund, und beides ist viel zu wichtig, um es mit einer Affäre zu verderben.«
»Aber das wird auch alles sein, was jemals möglich ist, nicht wahr? Ich habe das Gefühl, dass er einer von denen ist, für die es nur eine einzige Frau gibt, und diese Gelegenheit ist ein für alle Mal vorbei.«
»Sie wissen über Amy Bescheid?«
»Ich habe ein wenig herumgeschnüffelt und den Polizeibericht gefunden.«
»Sagen Sie Juan nicht, dass Sie ihn gelesen haben. Er glaubt, dass niemand von der Mannschaft weiß, dass er verwitwet ist. Max hat den Fehler gemacht und mit Maurice einmal darüber gesprochen, und, nun ja, Maurice tratscht wie ein altes Waschweib. Und – ja richtig, es wäre wahrscheinlich nur eine kurzfristige Angelegenheit, aber nicht, weil er wegen Amy trauert. Er hat eine andere große Liebe, mit der keine Frau konkurrieren kann.«
»Die
Oregon.«
Linda nickte. »Also überlegen Sie sich gut, was Sie wirklich wollen, ehe Sie es tun.«
»Danke.«
Während sie sich entfernten, öffnete sich Juans Kabinentür einen Spalt, und er blickte in den Korridor. Das Geräusch der Schublade, als sie geöffnet wurde, hatte ihn geweckt, aber er hatte sich schlafend gestellt, um Sloane nicht in Verlegenheit zu bringen. Er würde mit Max über seine Unfähigkeit reden müssen, ein Geheimnis für sich zu behalten, und ebenfalls mit Maurice. Er schloss die Tür wieder und dachte, dass das, was er gehört hatte, die Entscheidung, über die er nachgedacht hatte, um einiges erschwerte.
Juan saß im Wohnraum der Gästekabine und unterhielt sich mit Moses Ndebele. Heimgesucht von heftiger Seekrankheit hüteten seine Männer das Bett. Ihm gefiel sein Intellekt, und er konnte
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