Schlangenjagd
spät. Sie geriet ins Taumeln und wäre sicherlich über Bord gefallen, hätte Juan nicht ihre Jacke gepackt und sie festgehalten. Die Tragflächen sorgten für weiteren Auftrieb und drückten den Rumpf noch höher, bis bloß noch die Flügel und die teleskopartig verlängerbare Schraubenwelle durch das Wasser glitten. Es dauerte nur wenige Sekunden, und ihre Geschwindigkeit verdoppelte sich auf vierzig Knoten.
Sloane schaute Juan ungläubig an und wusste nicht, was sie sagen oder wie sie darauf reagieren sollte, dass sich das schwerfällige Rettungsboot in ein Hochleistungstragflügelboot verwandelt hatte. Schließlich platzte sie heraus: »Wer, zum Teufel, sind Sie?«
Er schickte ihr einen kurzen Blick. Normalerweise hätte er mit irgendeiner ausweichenden Bemerkung geantwortet, doch seine Wut über den Mord an Papa Heinrick fraß ihn geradezu auf. »Jemand, den man nicht verärgern sollte.« Seine Augen funkelten wie Achat. »Und die dort haben mich soeben ganz erheblich verärgert.« Er deutete nach vorn. »Können Sie erkennen, wie die See ein wenig leuchtet?« Sloane nickte. »Die Bewegung ihres Bootes im Wasser hat biolumineszente Mikroorganismen angeregt. Am Tag hätten wir sie nie aufspüren können, aber bei Nacht ist uns Mutter Natur ein wenig behilflich. Könnten Sie mal kurz das Ruder übernehmen und uns auf dieser Spur halten?«
»Ich habe noch nie ein Boot wie dieses gelenkt.«
»Das Glück hatten auch nicht sehr viele Leute. Es ist aber kaum anders als das Charterboot Ihres Vaters, nur schneller. Halten Sie das Ruder immer geradeaus, und falls Sie es drehen müssen, dann tun Sie es bitte ganz behutsam. Ich bin in einer Sekunde zurück.«
Er beobachtete sie einen Moment lang, um sicherzugehen, dass sie zurechtkam, dann ging er zum Kabineneingang. Er schlängelte sich durch den Mittelgang zu seiner Reisetasche. Er wühlte unter den Kleidern herum und holte die Mini-Uzi und die Reservemagazine heraus. Nachdem er seine Glock frisch geladen hatte, klemmte er sie sich wieder in den Hosenbund und verstaute die Reservemagazine in seiner Gesäßtasche. Er trat zu einer anderen Bank und betätigte einen versteckten Schalter unter dem Sitzpolster. Ein Haken wurde gelöst, und der Sitz schob sich nach vorne. Der Stauraum unter den Sitzen war im Wesentlichen für Lebensmittel und andere Hilfsgüter reserviert, bei dieser Sitzbank verhielt es sich jedoch ein wenig anders. Er entfernte einige Rollen Toilettenpapier, bis das Fach leer war, dann legte er einen anderen versteckten Hebel um. Der doppelte Boden sprang auf und Juan klappte den Deckel vollends hoch.
In der Bilge wurde das Dröhnen der Motoren und das Zischen der Flügel im Wasser geradezu ohrenbetäubend. Juan ergriff die Röhre, die durch Metallklammern in der Bilge gesichert wurde. Er löste sie und hob sie heraus. Aus widerstandsfähigem Plastikmaterial gefertigt und mit einer wasserdichten Abdeckung versehen, war die Röhre fast einen Meter fünfzig lang und hatte einen Umfang von beinahe dreißig Zentimetern. Er schraubte den Deckel auf und holte ein FN-FAL-Gewehr heraus und legte es auf den benachbarten Sitz. Die Wurzeln der ehrwürdigen belgischen Waffe konnte man bis in den Zweiten Weltkrieg zurückverfolgen, trotzdem war sie immer noch eins der besten Gewehre der Welt.
Schnell lud Juan zwei Magazine mit den 7.62 mm Patronen, die ebenfalls in der Röhre aufbewahrt wurden, hebelte eine Patrone in die Kammer und überzeugte sich zweimal, dass die Waffe gesichert war. Er erinnerte sich an Max’ Frage, ob eine solche Waffe an Bord eines Rettungsbootes wirklich nötig sei; seine Antwort hatte gelautet: »Bring jemandem das Fischen bei, und er hat für einen Tag zu essen, gib ihm ein Gewehr in die Hand und ein paar Haifische, und er bekommt eine ganze Mannschaft satt.«
Er kehrte aufs Achterdeck zurück. Sloane hatte das Boot auf der matt leuchtenden Spur gehalten, und Juan konnte erkennen, dass sie zu dem flüchtenden Sportboot aufgeholt hatten. Die Mikroorganismen hatten weniger Zeit gehabt, um sich zu beruhigen, und leuchteten entsprechend heller.
Juan legte die FN auf das Armaturenbrett, warf die Thermosflasche in die Kabine hinunter und legte sich die Mini-Uzi zurecht.
»Sind Sie immer auf den dritten Weltkrieg vorbereitet, oder habe ich Sie gerade in einem besonders paranoiden Augenblick erwischt?«
Sloane versuchte es mit Humor, damit er sich entspannte, und er war ihr dankbar. Cabrillo wusste nur zu gut, dass es ein tödlicher Fehler
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