Schlangenkopf
kann. Sie wissen nicht zufällig, wann Frau Stein zurückkommt? Ich könnte etwas später am Abend ja noch einmal vorbeischauen.«
»Ach!«, sagt die alte Dame und tippt mit ihrer mageren blauädrigen Hand an die Stirn, »ich hab Barbara heute noch gar nicht gesehen, und ihr Bullenbeißer ist auch nicht da …« Sie wirft Olga einen verschwörerischen Blick zu. »Barbara hat sich nämlich mit einem alten Polizisten zusammengetan, ist das nicht schrecklich? Natürlich geht es mich nichts an, und ich erzähl es Ihnen auch nur, weil die beiden eine Datsche an der Ostsee haben, das ist jetzt zwar nicht die Jahreszeit dafür, aber wenn die beiden nicht hier sind, dann sind sie dort, sie sind ganz pudelnärrisch mit ihrer Datsche.«
»Dann werden sie vermutlich das ganze Wochenende dort sein?«, fragt Olga besorgt, und die alte Dame nickt: »Wirklich schade um die schönen Röslein!«
»Ich bin auf der Weiterfahrt nach Schweden«, nimmt Olga einen neuen Anlauf, »vermutlich nehme ich in Wismar die Fähre. Sie wissen nicht, wo sich dieses Ferienhaus genau befindet? Wenn es kein zu großer Umweg ist, könnte ich doch dort vorbeifahren.«
»Wenn Sie das wirklich machen wollen«, meint die alte Dame. »Barbara würde sich sicher riesig freuen. So groß kann der Umweg auch gar nicht sein, die Datsche ist irgendwo bei Rerik, das ist nicht weit von Wismar. Warten Sie doch einen Augenblick, ich suche Ihnen die genaue Adresse heraus!«
D as Holzfeuer in dem altersschweren eisernen Küchenherd prasselt, aber Berndorf hält die Tonschale mit dem heißen Tee in beiden Händen, als wolle er sich daran wärmen. Denn es dauert, bis die Kälte aus dem Gemäuer der alten Tagelöhnerkate zu weichen beginnt. Er sieht zum Fenster hinaus auf den Hinterhof, doch der kahle schorfige Apfelbaum neben dem Stadel ist in der Dämmerung schon nicht mehr richtig zu erkennen. Wie viele Stunden sind sie gefahren?
»Hübsches Haus«, sagt Zlatan Sirko und betrachtet den Küchenherd, »gehört es Ihnen?«
»Das Haus gehört Barbara Stein. Meiner Freundin«, antwortet Berndorf. »Wir nennen es nur das Schnakenloch. Inzwischen hängen wir im Sommer Mückengitter ein, aber das scheint diese Viecher nur zu belustigen.«
Zlatan nickt. »Sie sagten: Ihre Freundin. Sie sind nicht verheiratet?«
»Nein. Es hat sich nicht ergeben.« Berndorf überlegt, ob nicht doch mehr dazu zu sagen wäre, aber es fällt ihm nichts ein. »Ich hoffe, dass Sie Barbara noch heute Abend kennen lernen werden. Vielleicht bringt sie einen Anwalt mit.«
»Wozu das?«
»Ich lasse Sie nicht nach Schweden, bevor wir nicht eine eidesstattliche Erklärung von Ihnen darüber haben, was Sie von Jovan Mesic wissen.«
»Das letzte Mal«, wendet Zlatan bedächtig ein, »das letzte Mal, als ich jemandem etwas darüber erzählen wollte, ist das nicht besonders gut ausgegangen.«
»Sobald es schwarz auf weiß niedergelegt und unterschrieben ist, unter welchem Namen Mesic heute lebt, ist es für ihn zu spät, Sie oder sonst jemanden umbringen zu lassen.«
»Ich fürchte, Sie kennen Mesic nicht«, wirft Zlatan mit leiser Stimme ein. »Er erträgt es nicht, dass ihm jemand eine Niederlage beibringt.« Plötzlich horcht er auf. Draußen nähert sich Motorengeräusch, ein Wagen verlangsamt die Fahrt und fährt wieder an, Scheinwerferlicht streift über die Sanddornhecken im Hof hinterm Küchenfenster, der Wagen hält vor dem Stadel, in dem Berndorf vor zwei oder drei Stunden den gemieteten Renault abgestellt hat, einen Augenblick lang werden die altersgrauen Bretter des Tores grell ausgeleuchtet, dann bricht das Licht ab.
Berndorf geht durch die Küchentür nach draußen und begrüßt die Neuankömmlinge. Es sind zwei, eine Frau und ein Mann.
»Wir sind gekommen, wie du es gewünscht hast«, bemerkt Barbara an Stelle einer Begrüßung, »aber was ist mit deiner Hand?«
»Nichts weiter«, antwortet Berndorf, »ein paar Schnittwunden, morgen gehe ich vielleicht zu einem Arzt deswegen.« Barbara wirft ihm einen besorgten Blick zu, erlaubt ihm aber, ihre Tasche zu tragen. Sie selbst nimmt die Papiertüte mit dem frischen Brot und den anderen Lebensmitteln, die sie unterwegs noch rasch in einem Laden an der Straße von Neubukow nach Rerik besorgt hat.
Der zweite Neuankömmling ist Adrian Dingeldey, der mit Berndorf einen Händedruck tauscht und keine Entschuldigung hören will. »Ich habe Ihnen das Vergnügen zu verdanken, von Barbara durch die Nacht chauffiert zu werden. Sie ist eine sehr
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