Schlangenkopf
also das Streikkomitee?«, fragt Barbara, aber Venske versichert, dass dazu erstens noch ein paar Leute mehr gehören und Dr. Capotta als Chefärztin dort leider und ausnahmsweise nicht ganz am richtigen Platz wäre. Offenbar haben die beiden Mediziner geklärt, was zu klären war, denn Marielouise Capotta erkundigt sich – etwas besorgt –, ob Barbara ihren besonderen Patienten habe besuchen wollen …
»Doch, aber die Polizei hat da einen Gralshüter hingestellt, und der hat mich nicht durchgelassen.«
»Ja, das kam etwas überraschend«, antwortet Dr. Capotta, »offenbar ist es auf Betreiben der Ehefrau angeordnet worden, die hat sich über diesen Diebstahl doch sehr aufgeregt … Ich hätte Sie verständigen sollen, tut mir leid!«
Barbara Stein versichert, dass es wirklich nicht die Aufgabe der Ärzte sei, mitzuteilen, wer wann besucht werden könne, und Venske erkundigt sich, was das für ein Diebstahl gewesen sei: »War das wieder dieser Halbwüchsige?«
»Das Phantom?«, fragt Dr. Capotta und zuckt mit den Achseln, »schon möglich.«
»Diese Geschichte macht mir zu schaffen«, sagt Venske plötzlich, und sein Gesicht wirkt mit einem Mal bekümmert.
»Klaut er bei Euch auch?«, fragt Dr. Capotta.
»Nein, in der Hautklinik hab ich ihn schon lange nicht mehr gesehen«, antwortet er und horcht auf, weil von irgendwoher das Schnarren eines Handys zu hören ist. Aber das Handy gehört Barbara, die sich jetzt sehr entschuldigen muss, und dann doch die Nachricht lesen will, die gerade eingelaufen ist:
Heute abend im schnakenloch? Mit dingeldey?
Sie atmet tief durch, um den in ihr aufkeimenden Wutausbruch zu unterdrücken. Dann löscht sie die Nachricht und steckt das Handy weg. Aber inzwischen sind die beiden Mediziner dabei, sich darauf zu verständigen, wie sie in den kommenden Tagen telefonisch Kontakt halten, und nach allgemeinem Händeschütteln geht jeder seiner Wege.
O lga findet einen Parkplatz zwischen Alleebäumen und bleibt, als sie den Motor abgestellt hat, noch einen Augenblick sitzen. Es ist gegen 17.30 Uhr, um diese Zeit finden eher keine Vorlesungen statt, und Seminare werden ihres Wissens zumeist auf den Abend gelegt. Also ist es keine schlechte Zeit, auch wenn dieser Berndorf wohl noch in den Niederlanden sein wird – oder doch schon auf dem Rückflug?
Sie steigt aus und hebt vorsichtig das Rosenbukett vom Rücksitz des Mietwagens. Dann geht sie über die Straße zu dem grauen mehrstöckigen Wohnhaus, das mit seinen Balkonen und den Pfeilern neben der Tür so aussieht, als sei es mindestens hundert Jahre alt. Im Hochparterre und im dritten Stock sieht sie erleuchtete Fenster, die Namen »Stein/Berndorf« sind am Klingelschild so angeordnet, dass sie vermutlich zum zweiten Stock gehören. Sie klingelt, aber es erfolgt keine Reaktion, also versucht sie es bei »Trautmannsdorf« im Hochparterre, nach einiger Zeit meldet sich eine zittrige Greisinnenstimme.
»Sikorski hier, Olga Sikorski«, sagt Olga, die weiß, dass ihr Akzent für einen osteuropäischen gehalten wird und die sich deshalb einen überzeugenden polnischen Nachnamen zurechtgelegt hat, »entschuldigen Sie bitte, wenn ich störe, aber ich habe einen Blumenstrauß für Frau Professor Stein abzugeben, und nun ist sie gar nicht da.«
Das sei wohl möglich, dass Frau Stein nicht da sei, sagt die zittrige Stimme. »Aber wenn es nur um einen Blumenstrauß geht, kann ich den ja so lange ins Wasser stellen, bis sie kommt.« Gleichzeitig summt der Öffner, und Olga drückt die Türe auf. Oben am Treppenabsatz steht eine alte Dame, mit dünnem weiß-violettem Haar, in einem samtenen Hausanzug.
»Das ist ja kein Blumenstrauß mehr«, bemerkt die alte Dame, »das ist ja ein richtiges Bukett. Gibt es denn einen besonderen Anlass, von dem wir dummen Nachbarn noch gar nichts mitbekommen haben?«
»Ach nein«, sagt Olga, die inzwischen die Halbtreppe hochgestiegen ist, »ich bin Polin und gerade zufällig in Berlin, und weil Frau Professor Stein ein wunderschönes Buch über Deutsche und Polen geschrieben hat, wollte ich mich bei ihr bedanken.«
»Über Deutsche und Polen, ach ja?«, antwortet die alte Dame, »da muss ich Barbara direkt mal danach fragen, wir sind befreundet, wissen Sie? Aber kommen Sie doch rein. Ich suche Ihnen eine Vase raus, dann können wir ihr die Rosen auch vor die Türe stellen, wenn Ihnen das lieber ist.«
»Sie sind sehr freundlich«, sagt Olga, »wie schade, dass ich ihr das nicht persönlich übergeben
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