Schlangenkopf
in letzter Zeit …« – sie hebt kurz die Schultern und lässt sie wieder fallen – »… da wird so viel gar nicht auszuspähen gewesen sein. Ich weiß, ich sollte nicht so reden – aber Christian hat sich in eine Ecke drängen lassen, aus der er nicht mehr herauskam. Um es ganz kurz zu machen: Er war isoliert.«
»Er kam mir eher vor wie jemand, dem die Hände gebunden sind«, bemerkt Barbara Stein, »der mehr weiß, als er sagen kann oder darf.«
Carla Jankewitz wiegt den Kopf. »Das kann ich gut verstehen, dass Sie ihn so erlebt haben«, sagt sie schließlich. »Das hat natürlich auch damit zu tun, dass wir lange Zeit Regierungspartei waren. Dieser Katastrophen-Ausflug nach Afghanistan, der geht doch auf unser Konto.«
»Dass er in seinen Entscheidungen nicht ganz frei war – kann das nicht auch etwas mit seinem Privatleben zu tun haben?«, fragt Barbara und versucht dabei, mit ihren Augen den Blick der Jankewitz festzuhalten. »Ich hab’ ja eher unfreiwillig mitbekommen, dass es da Friktionen gibt …«
»Die Friktionen hören auf den Namen Solveig«, antwortet Carla Jankewitz. »So etwas hat aber heute nichts mehr zu sagen. Da dürfen die Herren der Schöpfung Kinder zeugen, und wenn die Kinder auf der Welt sind, sich mit einer SMS davonstehlen. Verstehen Sie: So etwas schadet denen nicht einmal. Sie sind nicht erledigt, weder gesellschaftlich noch politisch. Sie sind nicht einmal beschädigt. Die sind nämlich inzwischen alle mit Teflon-Moral beschichtet: Es bleibt nichts hängen!« Mit den Händen streift sie sich über den Oberkörper, als wische sie sich imaginäre Flusen ab, und zeigt die leeren Handflächen vor. »Nein, dass Christian irgendwie auf dem Abstellgleis gelandet ist, daran ist die schrille Solveig ausnahmsweise nicht schuld. Es liegt an ihm selbst. Ich bin überzeugt, es wäre einiges anders gekommen, wenn er rechtzeitig den großen Krach riskiert hätte. Ich glaube, das wusste er. Verdammt, ich rede von ihm schon wie von einem Toten, wie furchtbar. Also, ich denke, er weiß es, und er weiß auch, dass er den richtigen Zeitpunkt verpasst hat.«
»Manchmal springt einen ein Thema an und wirft einen aus der Bahn«, bemerkt Barbara. »Das kann nun wieder ich gut verstehen. Haben Sie übrigens das heutige Berliner Volksblatt gelesen? Diese merkwürdige Geschichte über den Häftling aus einem kroatischen Lager.«
»Zlatan Sirko«, sagt Carla Jankewitz und wirft einen Blick zur Decke. »So heißt dieser Mann. Jedenfalls ist das in Christians Unterlagen so vermerkt, ich hab nachgeschaut, als dieser Journalist gestern bei uns im Büro angerufen hat. Und dass Christian diesen Mann aus einem Lager herausgeholt hat, das glaub ich sofort – das sieht ihm ähnlich. Aber so richtig hab ich diesen Artikel nicht begriffen, einer ist tot und einer ist verschwunden, und die Polizei ermittelt in alle Richtungen und dann auch wieder nicht.« Mit der rechten Hand fährt sie sich vor den Augen hin und her: Irgendwer ist nicht ganz richtig im Kopf, soll das heißen, der Journalist, die Polizei oder alle miteinander.
»Örtlein – dieser Journalist – hatte mit Fausser wegen Sirko sprechen wollen?«
»So hat er gesagt«, kommt die Antwort. »Aber ich hab ihn abgewimmelt. Ihm irgendwas von Kontrolluntersuchungen nach einer Kreislaufschwäche erzählt. Und ihn auf nächste Woche vertröstet.«
»Hat Fausser denn Kontakt zu diesem Sirko?«, fragt Barbara, eine Spur zu beiläufig, wie sie selbst findet.
Prompt streift sie wieder einer dieser plötzlich aufmerksamen Blicke. »Es hätte nahe gelegen, finden Sie nicht?«, fragt Carla Jankewitz zurück. »Aber ich weiß davon nichts …« Sie bricht ab und wirft einen Blick auf ihre Armbanduhr, dann hat sie es plötzlich sehr eilig, nimmt einen letzten Schluck Kaffee und verabschiedet sich, sie müsse noch ins Büro!
Auch Barbara trinkt aus und steht auf. Als sie schon ihren Mantel angezogen hat, sieht sie, dass ein paar Tische weiter die Chefärztin Dr. Marielouise Capotta sitzt, im Gespräch mit einem etwa gleichaltrigen Mann. Barbara will es bei einem Handzeichen als Gruß bewenden lassen, aber dann führt ihr Weg sie an diesem Tisch vorbei, und sie muss von Dr. Capotta nun doch mit dem Gesprächspartner bekannt gemacht werden, einem Dr. Wolfgang Venske, Oberarzt der Hautklinik. Wie sich herausstellt, reden die beiden Mediziner gerade über den bevorstehenden Arbeitskampf in den Berliner Kliniken und die Gewährleistung eines Notdienstes.
»Sie sind
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