Schlangenkopf
Feichtmayr sein Schweigen gebrochen.
»Mesic«, antwortet Barbara. »Jovan Mesic. Er war kroatischer General und später als leitender Beamter im Verteidigungsministerium für die Aufrüstung der kroatischen Armee zuständig. Der Internationale Gerichtshof für Jugoslawien hat noch ein paar Fragen an ihn.«
»Ein paar Fragen, nun gut!«, wiederholt Feichtmayr. »Schon wieder geht es also um die Wahrheit. Um die von Menschen gemachte Wahrheit. Und um Krieg. Nichts leichter, als die Wahrheit über einen Krieg herauszufinden.«
»Mit Verlaub«, sagt Barbara, »im vorliegenden Fall geht es nicht um die Wahrheit über den jugoslawischen Bürgerkrieg, sondern um die Wahrheit über Verbrechen, die dabei verübt wurden.«
»Wenn Sie meinen, man könne Verbrechen losgelöst von dem Krieg betrachten, dessen Natur sie sind … Nun gut.« Feichtmayr hat – die Ellbogen aufgestützt – die Hände so zusammengelegt, dass sich die Kuppen der kurzen kräftigen Finger berühren. »Zu Ihrer Bemerkung, ich sei mit Herrn Kirstejn zusammengetroffen, habe ich mich bisher nicht geäußert und werde es auch künftig nicht tun. Grundsätzlich kann ich Ihnen sagen, dass ich die Menschen nur so ansehe, wie sie mir gegenübertreten. Ich erlaube mir daraus keine Rückschlüsse, wer diese Menschen vor fünfzehn oder zwanzig Jahren gewesen sind oder wie sie sich damals verhalten haben. Richtig ist, dass ich vor einiger Zeit einen Termin in dem von Ihnen genannten Hotel wahrgenommen habe, es ging um den Abschluss sehr komplizierter, sehr langwieriger Verhandlungen …« Er bricht ab und runzelt die Stirn. »Natürlich kann ich ohne die Zustimmung der einzelnen Vertragspartner nicht in Details gehen, aber im großen Ganzen haben Sie den Sachverhalt bereits den Medien entnehmen können – eine neu gebildete Lebens- und Glaubensgemeinschaft christlicher Frauen will die Ruine der Franziskanerkirche übernehmen und ausbauen, wogegen der Magistrat der Stadt Berlin angesichts des gebotenen Kaufpreises im Prinzip nichts einzuwenden hat« – ein kurzes, grimmiges Lächeln überzieht Feichtmayrs Gesicht –, »es aber vorzieht, nicht mit der neuen Glaubensgemeinschaft als Vertragspartner abzuschließen, sondern mit der Erzdiözese Berlin selbst … Das war’s.«
»Und Kirstejn?« Barbara ist entschlossen, nicht aufzugeben.
»Nun, Verehrteste! Natürlich hat die Erzdiözese nicht das Geld, eine Kirchenruine erst zurückzukaufen …« – Feichtmayr beugt sich vor und starrt Barbara aus funkelnden Augen an –, »und ein Rückkauf wäre es gewesen, denn diese Kirche hat man uns einst gestohlen! … und diese Ruine dann auch noch mit zeitgemäßer Architektur so auszufüllen, dass selbst die Denkmalschützer damit einverstanden sind. Nein, dafür hat die Erzdiözese nicht das Geld, wo denken Sie hin! Und die jungen Frauen, die da an die Tradition der einst von uns leider verfolgten Beginen anzuknüpfen versuchen – ein theologisch und im Hinblick auf die Kirchengeschichte sowohl höchst interessantes wie problematisches Vorhaben, nebenbei gesagt – die haben das Geld schon zweimal nicht. Also gibt es Sponsoren, Förderer, Mäzene, und in deren Namen ist ein Basler Geschäftsmann aufgetreten, jemand aus der mir leider eher fremden Welt international tätiger Finanz- und Dienstleistungsunternehmer, den Namen kennen Sie ja offenbar: Daniel Kirstejn.«
»Beginen?«, fragt Barbara nach. »Merkwürdig. Die hätte ich nun für Zeitgenossinnen Ihres Anselm gehalten.«
»Das wäre ein Irrtum«, bemerkt Feichtmayr. »Die Beginen traten etwa hundert Jahre später auf. Eine ihrer wichtigsten Autorinnen starb rund zweihundert Jahre nach Anselms Tod. Sie hieß Margareta Porete und wurde am Pfingstmontag 1310 in Paris als Opfer eines sehr bedauerlichen kirchlichen Justizmordes auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Dass die Erzdiözese Berlin ein Vorhaben ermöglicht, das dem Namen und dem Andenken eben dieser Margareta Porete gewidmet ist, scheint mir in aller Bescheidenheit doch bemerkenswert. In dieser ganzen Angelegenheit, die schon einigen Staub aufgewirbelt hat, interessiert sich dafür aber offenbar niemand. Falls Sie über das Vorhaben mehr wissen wollen – am Sonntag findet um elf Uhr vormittags in der Ruine der Franziskanerkirche eine Veranstaltung statt, in der die Initiatorinnen sich und ihr Projekt und den Spiegel der einfachen Seelen vorstellen werden.«
Barbara zieht die Augenbrauen hoch. »Was für einen Spiegel?«
»… der einfachen Seelen«,
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