Schlangenkopf
gleitet über die Bücherwände, die dem Zimmer ihr Gepräge geben. Es ist das Büro eines kirchlichen Beamten, auch lächelt Benedikt XVI. aus der Aussparung eines der Bücherregale, aber es ist – zum Glück – auch das Zimmer eines Gelehrten. Zum Glück deshalb, weil Monsignore Feichtmayr in der Philosophischen Fakultät einen kleinen Lehrauftrag wahrnimmt und in diesem Semester über Anselm von Canterbury liest, wer immer das zum Teufel auch gewesen sein mochte … Wenn das nicht wäre, wo hätte Barbara einen Anknüpfungspunkt gefunden?
Monsignore Feichtmayr fragt, ob er Kaffee oder Tee anbieten dürfe, und Barbara erklärt, dass ein Tee ganz reizend wäre! Feichtmayr gibt die Bestellung telefonisch weiter, dann erkundigt sich Barbara nach seinem Lehrauftrag und will wissen, ob sie Anselm von Canterbury zutreffend mit der Frage eines Gottesbeweises in Verbindung bringen dürfe – diese Information hat sie sich zuvor in aller Eile in einem Internetcafé besorgt.
Das sei ganz und gar zutreffend, meint Feichtmayr, schon wieder ganz entzückt. »Sie könnten auch sagen, es gehe um das Denken und eben das, was wir nicht mehr denken können.«
»Wenn es um das geht, was wir nicht mehr denken können – geht es also auch um Wunder?«, will Barbara wissen.
»Warum nicht?«, antwortet Feichtmayr heiter. »Als Wunder erscheint mir jedenfalls, dass zu meinen zwei Stunden in der Woche immerhin noch sechs oder sieben junge Leute kommen und den Versuch wagen, Gott zu denken. Ich muss froh und dankbar sein dafür, die Verwaltungsarbeit müsste mich sonst erdrücken.« Mit einer Handbewegung weist er auf die Aktenberge, die sich auf seinem Schreibtisch stapeln. Die sehr graue und sehr elegante Sekretärin von Feichtmayr bringt Tee für Barbara und Kaffee für ihn und dazu eine Karaffe Kognak, ganz unbefangen gibt er statt der Milch einen Schuss davon in die Tasse.
»Wäre ich in meiner Heimat, hätte ich mir jetzt ein Bier kommen lassen. Aber hier geht das nicht – einen Rum für Sie?«, fragt er dann, aber Barbara lehnt bedauernd ab. Sie braucht einen klaren Kopf, auch wenn erst einmal über universitäre Interna geplaudert wird. Noch immer gibt es Unruhe wegen der Berufung eines Historikers, der als junger Mann ein bisschen oder vielleicht auch mehr als bloß ein bisschen für die Stasi gespitzelt hat. Ist die Frage von grundsätzlicher Natur, oder sollte man bedenken, welchen Umfang die Spitzeldienste gehabt haben? Barbara ist für eine grundsätzliche Entscheidung, Feichtmayr würde – wenn man ihn denn fragen wollte – es mit jenem chinesischen Reformer halten, dem es gleichgültig gewesen sei, ob eine Katze grau sei oder schwarz, wenn sie nur Mäuse fange. Wie es denn bei dem fraglichen Herrn um die diesbezüglichen Qualitäten bestellt sei? Das kann Barbara nicht beurteilen, auch will sie gerade nicht so gerne über Katzen reden.
»Wie dem auch sei«, sagt Feichtmayr und setzt seine Tasse ab. »So sehr mich Ihr Besuch erfreut, so sehr fürchte ich, dass dies nicht der einzige Zweck Ihrer Anwesenheit ist.«
»Das ist wohl so«, sagt Barbara und setzt ihr besonders freimütiges Lächeln auf. »Ich arbeite an der wahren Geschichte eines Mannes, den Sie unter dem Namen Daniel Kirstejn kennen.«
Das flächige, an der Nase und den Wangen von roten Äderchen durchzogene Gesicht Feichtmayrs bleibt unbewegt. »An der wahren Geschichte!«, wiederholt er dann. »Sie sprechen ein großes Wort gelassen aus, meine Verehrte. Die wahre Geschichte eines Menschen kennt nur Gott. Aber bitte! Vielleicht haben Sie eine Frage an mich, die meinen begrenzten Erkenntnismöglichkeiten eher gerecht wird?«
Barbara senkt ein wenig den Kopf, als akzeptierte sie die Zurechtweisung. Immerhin, so denkt sie, hat er nicht bestritten, Kirstejn zu kennen. »Können Sie mir sagen, welches der Zweck Ihres Zusammentreffens mit Herrn Kirstejn hier in Berlin, im Hotel Brandenburg Residence gewesen ist?«
Feichtmayr betrachtet sie aus wachen, aufmerksamen Augen, den Kopf leicht schief haltend. Aber er schweigt.
»In welcher Eigenschaft ist Ihnen Herr Kirstejn gegenübergetreten? Als Geschäftsmann? Als jemand, der mit der Kirche in besonderem Maß verbunden ist?«
Noch immer schweigt Feichtmayr.
»Sie wissen, dass Kirstejn in der Endphase des jugoslawischen Bürgerkriegs eine nicht ganz unwichtige Rolle gespielt hat?« Ein weiteres Mal setzt Barbara ihr Lächeln ein. »Allerdings hieß er damals anders.«
»Nämlich wie?« Unvermittelt hat
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