Schlangenkopf
wiederholt Feichtmayr. »So heißt das Hauptwerk der Margareta Porete.«
Barbara holt ihren Terminkalender heraus und notiert sich den Termin. Sie braucht eine kurze Auszeit. Das Gespräch ist ihr irgendwie aus dem Ruder gelaufen. »Wird Daniel Kirstejn an dieser Vorstellung teilnehmen?«
»Kaum«, meint Feichtmayr. »Er ist ein sehr zurückhaltender Herr. Wohl auch ein wenig kurz angebunden.«
»Jemand also«, hakt Barbara nach, »der lieber Anweisungen gibt als Fragen beantwortet?«
Feichtmayr lächelt. »Warum fragen Sie nicht gleich, ob er nicht lieber Befehle gebe?«, fragt er dann. »Sie sollten mir keine solchen Fallen stellen.«
Barbara hebt entschuldigend beide Hände. »Sagten Sie vorhin nicht, er sei ein Schweizer?«
»Nein, das sagte ich nicht«, stellt Feichtmayr richtig, »Kirstejn ist Basler, das heißt, er lebt in Basel, aber ob er das Bürgerrecht dort hat oder ob sich überhaupt nur Basler nennen darf, dessen Familie seit der Reformation dort ansässig ist – das weiß ich nun wirklich nicht! Auch seinen Reisepass habe ich mir nicht zeigen lassen … das heißt … ich bitte um Entschuldigung! Bei der notariellen Beurkundung musste er sich ausweisen, jetzt fällt es mir wieder ein, Kirstejn ist deutscher Staatsangehöriger. Und damit Sie sehen, dass ich mit offenen Karten spiele, darf ich Ihnen noch sagen, dass Kirstejn sehr gut Deutsch spricht, aber dass Deutsch nach meinem Dafürhalten nicht seine Muttersprache ist. Also wird er vermutlich nicht in Deutschland aufgewachsen sein. Sonst weiß ich über ihn nur, was uns seine Banken über seinen finanziellen Leumund mitgeteilt haben. Und der ist tadellos.«
»Er spricht also mit Akzent«, stellt Barbara fest. »Ist es zufälligerweise ein Akzent mit dem Anklang von alt-österreichischem Balkan?«
»Verehrteste«, sagt Feichtmayr, »wenn ich Experte für Akzente und Dialekte und Sprechweisen wäre und den Leuten ihre Herkunft aufs Maul zusagen könnte, dann würde ich damit im Variété auftreten und müsste mich nicht um dieses Zeug hier kümmern.« Eine rasche Handbewegung auf den Schreibtisch und die Aktenberge darauf macht unmissverständlich klar, dass die Audienz nun beendet ist.
S o also sieht das aus, wenn man die Perspektive wechselt, denkt Berndorf und blickt sich um. Nur gibt es in einem polizeilichen Vernehmungszimmer nicht viel zu sehen. Einen Tisch oder zwei, dazu Stühle, zwei oder drei. Und immer hängt alles davon ab, auf welcher Seite des Tisches einer sitzt. Ein Vernehmungszimmer ist Ausdruck einer Weltordnung, in der es einen festen Platz für die Tische und die Stühle, nicht aber für die Menschen gibt. Für einen Augenblick überlegt er, ob er sich nicht ein Theaterstück ausdenken soll, ein Stück für drei Personen: Polizist, Häftling, Protokollant. Und in jedem Akt müssten die drei ihre Plätze wechseln, so dass nicht nur der Häftling befragt werden könnte, sondern auch der Polizist – warum er welche Fragen gestellt hat und andere nicht –, und ebenso der Protokollant, was er warum aufgeschrieben oder eben ausgelassen hat. Und die Lügen und Ausflüchte eines jeden müssten zusammen das Bild einer beschämenden Wahrheit hervortreten lassen wie in einem Hologramm.
Nur gibt es in deutschen Vernehmungszimmern keine Protokollanten mehr, sondern nur noch Rekorder …
»Entschuldigung«, sagt eine Stimme, »wir haben uns verspätet, das war keine Absicht.« Die Stimme gehört einem nicht mehr ganz jungen, eher schmächtigen Mann mit Drei-Tage-Bart, der Berndorf mit Handschlag begrüßt und sich als Friedhelm Kramer vorstellt, Kriminalhauptkommissar aus Frankfurt/Main, Dezernat Kapitalverbrechen. »Übrigens kennen wir uns, das heißt, ich kenne Sie, aber Sie werden sich nicht an mich erinnern«, fährt er fort und hängt seine Lederjacke, die auf seinen schmalen Schultern etwas unangemessen wirkt, über die Stuhllehne. »Wir sind uns in Münster-Hiltrup begegnet …«
Berndorf erinnert sich. Polizeiführungsakademie, eine Tagung über die damals neuen Möglichkeiten, die die DNS-Analyse für die Kriminalistik eröffnete, wie viele Jahre ist das nun schon wieder her! Mag sein, dass damals in seiner Arbeitsgruppe ein junger, etwas schüchterner Mann war. »Ah ja!«, sagt er zurückhaltend, denn Häftlinge sollten zurückhaltend sein, vor allem dann, wenn die Bullen besonders freundlich angeschwänzelt kommen.
Mit Kramer hat ein zweiter Mann den Raum betreten, der als Kommissar Manuel Dotz vorgestellt wird und
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