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Schlangenkopf

Schlangenkopf

Titel: Schlangenkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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André eine Stimme an seinem Ohr. Er wischt sich die Haare aus der Stirn und blickt sich um, auf der Plattform steht eine Gruppe junger Männer, schon jetzt Bierdosen in der Hand, und als sie ihn von vorne sehen, brechen sie in Gelächter aus, »das ist eine kleine Tunte«, sagt eine zweite Stimme, »seit wann fickst du so was?«
    André wendet sich ab und geht durch den Gang, noch immer das Gelächter im Ohr, bis er einen freien Platz findet. Er muss zu einem Friseur, denkt er. Seit er sich gestern in Dahlem die Haare gewaschen hat, fliegen sie ihm nur so um den Kopf. Vielleicht sollte er sie zu einem Pferdeschwanz binden. Gegen einen Pferdeschwanz ist bei einem Mann nichts einzuwenden. Er blickt auf, ihm gegenüber liest ein Mensch Zeitung, und von der Titelseite brüllt die Schlagzeile:
    Erpresser gefasst! Um Phantom der Charité
zieht sich die Schlinge zu
    J emand beugt sich über den Brunnenrand seines Schlafes und ruft und gibt keine Ruhe, was soll das! Langsam schlägt Berndorf die Augen auf, es ist Barbara, sie beugt sich über ihn und rüttelt ihn an der Schulter.
    »Der Junge ist weg!«
    Er richtet sich auf und schwingt die Beine aus dem Bett, bleibt dann aber doch einen Moment benommen sitzen.
    »Er muss irgendwann in der Nacht aufgestanden und gegangen sein, einfach so.«
    Und? Wenn einer in der Nacht geht, dann geht er hoffentlich einfach so und nicht auch noch mit Pauken und Trompeten.
    »Heißt das, dass ich ihn jetzt suchen soll?«
    »Das heißt, dass du mich mit dieser Situation nicht alleine lassen sollst. Dass du dir wenigstens Gedanken machst. Du musst doch wissen, was man tut, wenn jemand verschwindet. So was hast du doch gelernt!«
    »Hast du eine Vorstellung, wie viele Kinder in Berlin im Jahr verschwinden, einfach abhauen und auf der Straße leben?« Berndorf steht auf und geht ins Bad und putzt sich die Zähne. Als er damit fertig ist und sich genug kaltes Wasser ins Gesicht geklatscht hat, sieht er, dass Barbara am Türstock lehnt und noch immer auf eine Antwort wartet. Auf eine richtige Antwort.
    »Du bist nicht sehr hilfreich«, stellt sie sachlich fest.
    »Manchmal gibt es keine Hilfe«, antwortet er. »Dieser junge Mann …«
    »Das ist kein junger Mann, das ist ein Kind«, korrigiert sie, nicht ohne Schärfe.
    »Also gut. Dieses Kind war eingeladen, hierzubleiben, aber trotzdem ist es davongelaufen. Wir haben kein Mandat, kein Recht, keinen Auftrag, es wieder einzufangen und hier einzusperren.«
    »Dieses Weglaufen ist ein Hilferuf, begreifst du das nicht?«
    »Ein Hilferuf, sicher doch. Ein Hilferuf an die Mutter. An die Elke. Aber die wird ihn nicht hören, das weißt du so gut wie ich, denn die Elke ist tot, gestorben entweder in einem Hospiz, wo sie unter falschem Namen untergekommen ist, oder – was ich für wahrscheinlicher halte – sie hat sich umgebracht, damit ihr das Kind nicht beim Sterben zusieht.«
    »Warum unter falschem Namen?«
    »Wenn sie unter ihrem richtigen Namen gestorben wäre, hätte das Hospiz oder wer auch immer das Standesamt unterrichtet, und irgendwann wäre der Vorgang auch dem Jugendamt des Bezirks Berlin-Mitte mitgeteilt worden. Von denen hat sich aber wohl niemals jemand gemeldet.«
    »Das beweist absolut nichts«, antwortet Barbara. »Diese Jugendämter sind so überlastet, da muss eine Akte nur auf den falschen Stoß gelegt werden, und da bleibt sie dann für die nächsten hundert Jahre. Habe ich dich richtig verstanden – du willst nichts unternehmen?«
    »Ich kann es nicht«, antwortet Berndorf. »Es gibt zwei Möglichkeiten. Er kehrt in die Wohnung zurück, dann nimmt ihn die Polizei entweder gleich in Empfang oder holt ihn in den nächsten Stunden ab, denn diese merkwürdige Figur Bilch wird seit gestern durch die Mangel gedreht und hat ganz gewiss schon alles ausgeplaudert, was für sie nützlich ist und was sie André in die Schuhe schieben kann. Die zweite Möglichkeit ist – André geht nicht in die Wohnung, sondern schlägt sich auf der Straße durch. Wie soll ich ihn da finden?«
    »Das ist doch alles so hoffnungslos …«
    »Warum? Immerhin weiß der Junge, wo wir wohnen. Dass er hier übernachten kann. Dass er hier zu essen bekommt, und wenn es sein muss, auch ein Bad. Bei deiner lesbischen Katze hast du damit kein Problem. Die kommt, wenn sie was will, und geht wieder. Es würde dir nicht in den Sinn kommen, sie als Schoßtier zu halten.«
    »Es geht hier um ein Kind, nicht um eine Katze«, antwortet sie mit leiser Stimme und geht in

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