Schlangenkopf
die Küche. Berndorf, der einen Morgenmantel übergeworfen hat, folgt ihr und versucht, sich bei dem Rücken, den sie ihm zukehrt, zu entschuldigen: das mit dem Schoßtier sei eine blöde Formulierung gewesen.
»Allerdings!«, kommt die Antwort. Dann will sie wissen, was er eigentlich in der vergangenen Nacht mit Dingeldey vereinbart habe. Er erklärt es ihr, und sie fragt, ob er mitkommt.
»Nein«, antwortet er, »ich möchte mir diese Veranstaltung in der Franziskaner-Ruine ansehen.«
O lga hat den Wecker auf neun Uhr gestellt, aber der arbeitslose Trunkenbold in der Wohnung nebenan begann schon eine halbe Stunde davor, seine Frau zu prügeln. Nichts ist einfacher, denkt sie noch im Halbschlaf, als einen betrunkenen Mann ruhig zu stellen. Man braucht nichts weiter als ein festes scharfes Küchenmesser mit spitz zulaufender Klinge, wie es sie in jedem Einkaufsmarkt gibt, für fünf Euro neunzig vielleicht. Und dann geht man, den Kopf mit dem linken Arm geschützt, mit Wucht auf den Trunkenbold zu und rammt ihm das Messer in den Bauch und stößt es nach oben, ins Herz.
Das funktioniert. Für fünf Euro neunzig, das ist doch fast geschenkt!
Das Schreien nebenan geht in ein Wimmern über, Olga steht auf und stellt sich unter die Dusche, um die Müdigkeit aus ihrem Körper zu vertreiben. Sie hatte nur eine kurze Nacht und war erst gegen vier Uhr morgens aus Dahlem zurückgekommen.
Dabei hat sie ihren Job noch gar nicht erledigt.
Als sie sich abgetrocknet und angezogen hat, wirft sie einen Blick auf den GPS-Monitor. Das kleine zerbeulte Auto steht noch immer im Hinterhof des Hauses in Dahlem. Nun ja, es ist Sonntag, so früh wird Herr Berndorf nicht aufstehen.
Sie frühstückt, Tee, Rührei, Müsli mit viel Obst. Wenn sie Zeit dazu hat, ist ihr das Frühstück die wichtigste Mahlzeit am Tage. Sie schaltet ihr Handy ein, aber es ist nur eine alte Nachricht gespeichert, die von gestern Nachmittag:
Anzeige dass frau rover gefahren hat
Sie löscht die Nachricht, dann räumt sie auf, macht das Bett und den Abwasch. Die Milch, die sie nicht verbraucht hat, schüttet sie weg und wirft das restliche Obst in den Abfall. Falls sie die Sache heute zu Ende bringen kann, will sie am Abend in Prag sein, und wann sie in diese Wohnung in einer Plattenbausiedlung des Berliner Nordens zurückkehren wird, weiß sie nicht.
Im Bad probiert sie die blonde Perücke aus, deren Haare ihr weit den Rücken hinunterfallen. Sie trägt sie sehr selten, weil sie damit aussieht wie eine Hure vom Straßenstrich. Trotzdem legt sie auch noch etwas Make-up auf und versucht, mit einem Stift die dunklen Augenbrauen aufzuhellen.
Der GPS-Monitor gibt ein Signal, sie geht zurück zum Frühstückstisch, auf dem sie das Gerät abgestellt hat, und richtig hat sich das Auto aus dem Dahlemer Hinterhof in Fahrt gesetzt, in Richtung Innenstadt, wie sie sofort erkennen kann. Ihre Reisetasche ist bereits gepackt, so muss sie nur noch den GPS-Monitor darin unterbringen und sich den Mantel anziehen. Er ist auf der einen Seite schwerer als auf der anderen, denn in der Innentasche steckt die Walther P 9, die sie dem BND-Beamten abgenommen hat.
Sie wirft noch einen Blick in die Wohnung, dann aktiviert sie die Türsicherung – die ein Signal auf ihr Handy sendet, wenn die Türe von wem auch immer geöffnet wird – und macht sich, die Abfalltüte in der einen und die Reisetasche in der anderen Hand, auf den Weg.
A uch der Mann, der sich schon so lange Zlatan nennt, dass er gar keinen anderen Namen mehr für sich hat, ist aufgestanden und hat lange geduscht, in der Hoffnung, dass er davon einen klaren Kopf bekommt. Zum Frühstück hat er sich einen Kaffee gemacht, einen richtigen Kaffee, und noch einmal diesen einen Artikel aus dem kostenlosen Anzeigenblatt für Berlin-Mitte gelesen, das in seinem Briefkasten war. Das Anzeigenblatt bringt Berichte über Geschäftseröffnungen und Jubiläen, und in jeder Ausgabe werden »Leute der Woche« vorgestellt.
In dieser Woche wird Schwester Françoise vorgestellt.
Warum interessiert ihn so etwas? Weil dem Artikel ein Foto von Schwester Françoise beigefügt ist. Sie hat ein schmales Gesicht mit einer hohen Stirn und trägt ein Kopftuch, das sie noch strenger erscheinen lässt, als sie ohnehin sein mag. Und weil Schwester Françoise zu einer Gruppe von Frauen gehört, die eine Kirchenruine in Berlin-Mitte zu einem Kloster ausbauen wollen – oder zu etwas, was einem Kloster ähnlich ist. So genau versteht Zlatan das
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