Schlangenkopf
dass dieser Kerl nicht will«, antwortet der Gast und schiebt einen Zwanziger über den Tresen. »Stimmt so … Der Fahrer will nicht.«
»Ein Fahrer kommt also auch darin vor, in der Geschichte?«
»Ja.« Der Gast lässt sich vom Barhocker herunter. »Der Kerl, der die Jacke hatte, die ihm nicht gehört – dieser Kerl ist dummerweise vor ein Auto gelaufen. Mausetot. Kann also nicht reden. Und der Fahrer, der will nicht reden. Der ist auf und davon.« Der Gast beugt sich vor und sucht Miguels Blick. »Sirko, so war doch der Name des Kollegen, der irgendwie nicht da ist? Falls die Lederjacke ihm gehört, wäre es für ihn vielleicht nicht ganz unwichtig zu erfahren, was jenem Kerl passiert ist. Ich glaube, es wäre sogar verdammt wichtig … Übrigens – meine Name ist Berndorf, Hans Berndorf.« Er schiebt eine Visitenkarte über den Tisch. »Für den Fall …«
Miguel nimmt die Karte, wirft einen Blick darauf und steckt sie ein. Dann überprüft er den Rechnungsbeleg, zeichnet ihn ab und reicht ihn über den Tresen. »Besten Dank auch!«
Berndorf zögert einen kurzen Augenblick. »Nichts zu danken«, sagt er schließlich, hebt grüßend die Hand und geht zur Garderobe. Erst, als er das Hotel verlassen hat und draußen auf dem breiten Gehsteig steht, wirft er einen Blick auf den Rechnungsbeleg betreffend 1 Espresso, 1 Kognak zzgl. MwSt., was zusammen 11,30 Euro ausmacht. Aber unter dem Gesamtbetrag befindet sich ein handschriftlicher Vermerk:
Sirko, Zlatan, Mulackstraße 27
C arla Jankewitz wirft die Tür hinter sich zu und lässt sich, noch im Mantel, auf den nächsten freien Sessel fallen.
»Was für eine Scheiße!«
Die Sekretärin Carmen Ruff hat das Heft mit den Sudoku-Rätseln zur Seite gelegt und betrachtet die Jankewitz – nicht so sehr besorgt, eher mit einem Anflug jener Erregung, die die Menschen erfasst, wenn ein umstürzendes Ereignis in den Alltagstrott einbricht. »Und?«
»Nichts mehr«, antwortet die Jankewitz und fährt sich mit der Hand über die Augen – eine Geste, mit der man sonst andeuten will, dass jemand nicht mehr richtig tickt. Nur hat ihre Handbewegung etwas Endgültiges. »Gehirnschlag. Was alles kaputt ist, wissen sie noch nicht. Aber er kann nicht mehr reden. Aus, Herr Präsident, die Wortmeldung des Abgeordneten Fausser entfällt, da der Herr Abgeordnete der Worte nicht mehr mächtig ist, keines einzigen Wortes mehr.«
»Das bedeutet …«, beginnt die Ruff und hört gleich wieder auf, weil sowieso klar sein müsste, welche Folgen sich aus einem solchen Sachstand ergeben. Doch die Jankewitz ist noch zu mitgenommen, um sofort zu begreifen.
»Was meinst du?«, fragt sie zurück, während sie aufsteht und sich aus dem Mantel schält.
»Dass er sein Mandat zurückgeben muss«, sagt die Ruff. »Und dass die Hübner-Dinckelmann nachrückt.« Sie wirft einen boshaften Blick zur Jankewitz. »Eigentlich können wir uns gleich beim Arbeitsamt melden, alle beide.«
»Das heißt nicht mehr Arbeitsamt«, gibt die Jankewitz zurück und hängt ihren Mantel in den Garderobenschrank. »Außerdem – sie können ihm das Mandat nicht einfach wegnehmen. Und er selbst – wie soll er darauf verzichten, wenn er nicht reden kann?«
»Wie du meinst«, sagt die Ruff. »Aber sag mal – wir müssen seine Frau verständigen …«
»Nicht nur seine Frau.« Die Jankewitz zieht eine Grimasse. »Ich geh gleich rüber zum Holtzenpflug, dafür kannst du die Frau anrufen, und wenn du schon dabei bist, auch diese Solveig …«
»Dazu bin ich eigentlich nicht verpflichtet«, wendet die Ruff ein. »Nicht bei diesem Weibsstück. So von oben herab, wie die einen immer behandelt!«
»Eben drum«, gibt die Jankewitz zurück. »Knall es ihr vor den Latz. Schenk es ihr richtig ein.«
A ndré läuft die Treppe hoch und nimmt dabei immer zwei Stufen auf einmal. Unterm Arm hat er einen Comic, es ist die Fortsetzung der Geschichte von dem Jungen, der den Weg aus dem gefluteten U-Bahn-Schacht kennt, die Geschichte spielt jetzt zwischen den Ruinen, denn die Stadt ist ganz und gar zerstört. Dann ist er oben, an der Wohnungstür, und schließt sie auf und will eintreten, aber genau in diesem Augenblick legt sich eine schwere Hand auf seine Schulter.
»Da haben wir ja mal richtig Glück«, sagt eine seifige Stimme. »Endlich mal bekommen wir einen unserer Hausgenossen höchstpersönlich zu Gesicht, sonst ist immer die Wohnungstür dazwischen, da kann unsereins klingeln, was er will, nicht wahr?«
André blickt
Weitere Kostenlose Bücher