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Schlangenkopf

Schlangenkopf

Titel: Schlangenkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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riecht ein wenig muffig und so, als drücke Feuchtigkeit durch die Grundmauern hoch. Unter einem Schild: »Fahrräder abstellen verboten!« sind zwei Kinderwägen abgestellt. Auf der anderen Seite des Korridors befinden sich die Briefkästen, aus einigen quillt Reklame, gemischt mit Mahnschreiben. Zlatan Sirko hingegen hat keine Post bekommen, von einem Werbeschreiben der Klassenlotterie abgesehen. Es gibt keinen Fahrstuhl, die Holztreppe ist abgetreten, Berndorf macht sich auf den Weg nach oben, zum untersten Namen auf dem Klingelbrett gehört meistens die Wohnung ganz oben. Aus einer der Wohnungen dringt Kindergeschrei, im Stockwerke darüber klagen eine Laute und eine Rohrflöte voller Heimweh nach Anatolien und geleiten ihn zum letzten Treppenabsatz. Ein Lichtschacht sammelt die Helligkeit des späten Nachmittags ein. Es gibt zwei Türen, die auf den Absatz hinausgehen, zur Türklingel rechts gehört ein Messingschild, auf dem der Name Tamara Feinkind in ziselierter Schrift eingraviert ist, während neben der Klingel links ein Zettel an den Türrahmen geheftet ist, wieder mit dem handschriftlichen Vermerk: »Z. Sirko«. Die Klingel funktioniert, ein kleines Glöckchen, dessen Klang in der Wohnung widerhallt, aber auch diesmal rührt sich nichts.
    Berndorf nimmt den zweiten Schlüssel und will aufschließen. Doch mitten in der Bewegung hält er inne. Warum? Er weiß es selbst nicht. Wenn sein Hund, der Boxer Felix, Unheil witterte oder einer Keilerei näherzutreten beabsichtigte, dann richtete sich auf seinem Rücken ein braungelber Streifen Fell auf – es sträubten sich ihm die Haare. Das tun Berndorfs Haare nicht, aber sonst geht es ihm jetzt ähnlich, er wittert oder ahnt oder fühlt Unheil, es ist eine Art von Wahrnehmung, die nicht an benennbare Information anknüpft. Riecht er Unheil? Unsinn, es riecht nach Bohnerwachs, mag sein, dass von einem der unteren Stockwerke die Abluft eines Joints nach oben zieht und sich dazwischenmengt. Was kümmert das ihn? Aber was ist es dann?
    Die Helligkeit, die der Lichtschacht durchlässt, wird schwächer, und die Treppenbeleuchtung ist kümmerlich. Aus einem Seitenfach seiner Mappe holt er eine kleine Stablampe hervor, schaltet sie ein und tastet mit dem scharf fokussierten Lichtstrahl Tür und Rahmen ab. Keine Beschädigungen, am Türschloss ist nichts zerkratzt, alles so glatt und sauber, als hätte die Putzfrau eben erst Rahmen und Tür abgewischt.
    Er erlaubt sich ein knappes Lächeln. Einen Hunderter würde er darauf verwetten, dass sich der Hotelangestellte Zlatan Sirko keine Zugehfrau leistet.
    Noch immer steht er vor der Tür. Er schüttelt den Kopf, dann holt er zwei Gummihandschuhe aus seiner Mappe und zieht sie an. Der Schlüssel gleitet mühelos ins Schloss, und bereits beim ersten Dreh springt die Tür auf und gibt den Blick frei in eine enge Garderobe. Die Tür war also nur zugezogen, nicht abgeschlossen, denkt Berndorf.
    Was immer das zu bedeuten hat.
    Er verzichtet darauf, »Hallo!« oder andere alberne Dinge zu rufen, und betritt die Garderobe, in der ein grauer Wintermantel hängt und ein dunkler Anzug, dazu ein Stockschirm. Die Tür lässt er angelehnt. Rechts geht es in ein Badezimmer, was heißt Badezimmer! Es ist eine Toilette mit einer Duschkabine. Berndorf zieht den Plastikvorhang der Dusche auf und mustert die grünlichen Kacheln, von denen einige gesprungen sind, und die ersten rostigen Verfärbungen des Ablaufs.
    Er geht weiter in den Wohnraum, es ist ein Mansardenzimmer, dessen Fenster nach Westen geht und den Blick freigibt auf die Abenddämmerung, die nun merklich heraufzieht. Eine Bettcouch mit einer braunroten Tagesdecke, zwei Polstersesselchen mit Armlehnen aus Holz, ein runder Glastisch, darauf ein Schachbrett mit Figuren, Berndorf legt den Kopf schräg und verzieht im nächsten Augenblick das Gesicht. Die Figuren stehen wie zufällig, als ob sie ein Kind oder die Putzfrau aufgestellt hätte, ihre Position ist also nicht das Ergebnis einer Partie, aus der Berndorf vielleicht etwas hätte erfahren können über die Spieler, die in sie vertieft waren. Neben dem Schachbrett liegt – mit einem leeren Aschenbecher beschwert – ein Ausriss aus einer Zeitung; als er ihn umdreht, findet er auf der Rückseite die Rätsel- und Schachecke des Blattes mit der Notation einer Partie aus der letzten Weltmeisterschaft.
    Er sieht sich weiter um: ein altmodisches Büfett, viel zu groß für das kleine Zimmer, ein zweiter Tisch vor dem Fenster, mit

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