Schlangenkopf
heraus und lässt sich verbinden. Mit dem Anrufpartner ist er offenbar gut bekannt, Hertha hat schon wieder verloren, sie wird absteigen, da hilft auch kein Wunder mehr, und alle Wunder sind sowieso für den FC Bayern reserviert …
»Ja, was ich fragen wollte … wir haben hier einen Schlüssel AM 125 617 von euch, der soll dem Eigentümer zurückgegeben werden, aber den kennen wir nicht. Wem habt ihr diese Serie geliefert?«
Der Gesprächspartner lässt sich die Nummer wiederholen, dann dauert es, dann wechselt das Gespräch noch einmal, diesmal zur Eintracht, nächste Saison in der Zweiten Liga! Fast kann man schon wieder von richtigem Fußball reden … Schließlich aber legt der Anrufer den Hörer dann doch wieder auf.
»Kein Hallenbad«, sagt er und wendet sich Berndorf zu. »Auch kein Büro. Es ist das Brandenburg Residence …«
M ontags ist das Wartezimmer der chirurgischen Ambulanz gut besetzt, und mit seinem schmutzigen Verband an der rechten Hand fällt André schon gleich gar nicht auf, er ist ein Patient unter vielen. Die meisten Wartenden, nein: fast alle, sind Männer, trübäugig, und in der Luft hängt ein Geruch, den André verabscheut, denn manchmal hat die Elke auch so gerochen. Er überlegt, ob er sich ausrechnen soll, wer von den Männern die Treppe hinabgefallen und wer durch die Glastür gestolpert ist, wem das Heimwerken misslang und wem das Autofahren und wer den Streit in der Kneipe besser nicht angefangen hätte …
Aber Handtaschen hat hier natürlich keiner. Wenn sie denn überhaupt noch Geld haben nach der Zechtour, dann steckt das Portemonnaie gewiss nicht im abgeschabten Mantel am Garderobehaken.
Nein, denkt André, für einen Montag ist die chirurgische Ambulanz keine gute Idee. Er steht auf und tut so, als schaue er zum Fenster, aber niemand scheint auf ihn zu achten. Dann wendet er sich um und geht zu seinem Anorak und streift dabei an den Mänteln entlang, die daneben aufgehängt sind, unerwartet spürt er in der Seitentasche eines hellen Stoffmantels ein Gewicht. Er nimmt sich seinen Anorak, zieht ihn so behutsam umständlich an, wie man dies mit einer verbundenen rechten Hand tun muss – erst muss der rechte Ärmel des Anoraks übergestreift werden, dann tastet er mit der linken Hand hinter sich und sucht den linken Ärmel, und während er das tut, betrachtet er die wartenden Männer. Der Mantel könnte ein Trenchcoat sein, denkt er sich, und zu einem großen Kerl gehören, der einen Arm in einer Schlinge trägt, den rechten, und der deshalb den Mantel vermutlich gar nicht richtig angezogen, sondern einfach nur über die Schultern gehängt hatte und wiederum deshalb auch gar nicht auf den Gedanken gekommen ist, er könnte den Geldbeutel im Mantel gelassen haben …
Die linke Hand hat den Ärmel gefunden, mit einer Armbewegung zieht er sich den Anorak über die Schultern, während die verbundene rechte Hand den Geldbeutel, der sich rund und gefüllt anfühlt, auch schon in die Seitentasche des Anoraks gesteckt hat. Noch einmal scheint er einen Blick zum Fenster zu werfen, noch immer achtet niemand auf ihn, auch nicht der Mann mit dem Arm in der Schlaufe – die sind alle froh, denkt er, dass es einen Wartenden weniger gibt. Er geht zum Ausgang, vor ihm öffnet sich eine Glastür, ein mittelgroßer Mann kommt heraus, der Mann trägt keinen weißen Kittel, hat aber ein rotes Abzeichen am Revers und trägt einen Karton unterm Arm:
»Bitte die Aufrufe überall aufhängen, und wenn es Schwierigkeiten gibt, sofort melden!«, ruft er noch zurück und dreht sich um und stößt beinah mit André zusammen.
»Entschuldige, Junge!«, sagt er. Dann stutzt er, und seine Augen verändern sich. »Dich kenn ich doch – du hast deine Mutter besucht, als sie bei uns war.«
André spürt, wie ihm ein Schauder über die Arme läuft.
»Meine Mutter war nie hier«, sagt er und hebt – als könne er damit etwas erklären – den rechten Arm mit der verbundenen Hand an.
»Natürlich nicht hier«, antwortet der Mann. »Drüben, in der Hautklinik. Und du hast mich auch nur im weißen Kittel gekannt … Aber was ist mit deiner Hand, und was ist mit deiner Mutter? Ich habe sie nicht mehr gesehen.«
Aus den Augenwinkeln sieht André, dass der eine große Kerl – der den Arm in der Schlinge trägt – aufgestanden ist. Irgendetwas passt ihm nicht. André zwingt seinen Blick zurück zu dem Mann mit dem roten Abzeichen, es kann sein, dass er einer der Ärzte ist, die mit der Elke geredet haben.
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