Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schlangenkopf

Schlangenkopf

Titel: Schlangenkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
Vom Netzwerk:
einem Stuhl davor, ein Hängeregal mit abgegriffenen Taschenbüchern. Er schaltet die Deckenlampe ein – von deren sieben schmalen, wie Strahlen um eine Messingsonne angeordneten Glühbirnen nur noch fünf brennen –, tritt zu dem Regal und greift sich, die Hände noch immer in Gummihandschuhen, eines der Bücher und stellt es wieder zurück, offenbar ist es ein Kriminalroman, denn auf dem Umschlag starrt ihm eine Frau mit entsetzensvoll aufgerissenen Augen entgegen. Mehr kann er dem Taschenbuch nicht entnehmen, denn es ist in einer Sprache geschrieben, die er nicht kennt. Serbokroatisch? Mag sein.
    Das heißt, etwas kann er dem Buch doch entnehmen. Es ist nicht staubig. Deshalb fährt er mit dem Finger über die oberen Schnittkanten der anderen Bücher. Aber auch dort kann er keinen Staub entdecken. So wendet er sich dem Büfett zu, das ungefähr in Tischhöhe einen Aufsatz hat, mit Fächern hinter Glas links und rechts, und einer Art Anrichte in der Mitte, auf der ein Tablett mit einer angebrochenen Flasche Slibowitz und einem Schnapsglas steht. Darüber ist auf einer Konsole eine gerahmte Fotografie aufgestellt, eine schmale schwarzhaarige Frau steht neben einem dunkel gekleideten schnauzbärtigen Kerl und schaut zu ihm hoch. In den Fächern links der Anrichte ist Teegeschirr gestapelt, nicht viel, man würde nicht mehr als zwei Besucher bewirten können. Von den drei Fächern rechts sind zwei leer, im dritten findet Berndorf ein paar Papiere, darunter die vom Bundesland Berlin erteilte Aufenthaltsgenehmigung für Zlatan Sirko, geboren am 23. Juli 1970 in Dubrovnik, staatenlos, ein Mietvertrag, Lohnabrechnungen, wie lebt es sich mit 670 Euro netto monatlich?
    »Zlatan, sind Sie das?«, fragt eine brüchige Stimme in seinem Rücken. »Die Tür war …«
    »Nein, das bin ich nicht«, sagt Berndorf, legt die Papiere in das Fach zurück und dreht sich um. Eine ältere, nein: eine alte Frau steht an der Tür, etwas gebückt, sie steckt in einem geblümten Morgenrock, die schütteren Haare sind grauviolett gefärbt, der Lippenstift ein wenig verwischt. Sie hat eine Flasche in der Hand – Likör oder Sherry? – und blickt Berndorf erwartungsvoll an. Berndorf sagt seinen Namen und fügt hinzu, er habe gehofft, Zlatan Sirko hier anzutreffen.
    »Ich wollte ihm seine Schlüssel zurückbringen. Er hat sie verloren.«
    »Nein, nein!«, kommt es von der alten Frau. »Ihren richtigen Namen bitte, den, der einem aus der Kindheit bleibt, alles andere … Papier! Ich bin übrigens Tamara, früher war ich Madame Tamara, aber … ich meine, wir werden alle nicht …« Sie streckt die rechte Hand aus – in der linken hält sie noch immer die Flasche –, und Berndorf braucht eine Weile, bis er begreift, dass er jetzt einen Handkuss andeuten soll, aber bevor er das kann, muss er wenigstens die rechte Hand vom Gummihandschuh befreien, und das zieht sich hin. Damit er die Zeit des Hinziehens und Abstreifens überbrücken kann, gesteht er aus schierer Verlegenheit, dass er mit Vornamen Hans heißt.
    »Ein schöner Name, ich liebe diese deutschen … einfach und klar, wissen Sie!«, bemerkt sie. »Als ich ein junges Mädchen war, da hatte ich … doch das ist lange her! Aber kommen Sie doch und trinken ein Gläschen mit mir, wir hören es ja, wenn … ich meine, wir verpassen es nicht … !«
    Z latan setzt den Koffer ab. Frankfurt-Heddernheim also. Trajanstraße. Komischer Name. Zweistöckige Häuser, blau, gelb und rosa voneinander abgesetzt und überragt von einer Lärmschutzmauer, und die wiederum überragt von den Schornsteinen einer Fabrik oder etwas ähnlichem. Im Vorgarten nebenan tobt ein weißer ringelschwänziger Hund und kläfft sich die Seele aus dem Leib. Kläff du nur!, denkt Zlatan. Wie frei sich der Rücken auf einmal anfühlen kann! Von der Haltestelle der U-Bahn waren es vielleicht nur ein paar hundert Meter bis hierher, aber Elfie hatte Witterung aufgenommen und war vorwärts gewatschelt und nicht aufzuhalten gewesen …
    »Stell dich nicht so an mit dem bisschen Koffer!«
    Nun steht sie vor dem rosa Haus und verhandelt mit einer krummen alten Frau, offenbar der Nachbarin oder der Haushaltshilfe des verstorbenen Onkels Watzkau, und die holt einen Schlüssel und geht zum Haus nebenan, das gelb ist und vernachlässigter aussieht als die anderen Häuser in der Zeile, und schließt es auf. Elfie will eintreten, dann fällt es ihr doch noch ein, sich kurz umzudrehen und in die Richtung zu zeigen, in der sie ihn und

Weitere Kostenlose Bücher