Schlangenkopf
Moment!« – der Mann greift in seine Hosentasche, holt einen Schlüsselbund heraus und legt ihn neben das Foto – »Da haben wir es ja schon! Also, diese Schlüssel hier, die gehören ihm auch, und wenn mir jetzt irgendjemand weiterhelfen würde, oder einen kennt, der einen anderen kennt, der vielleicht weiß, wem die Jacke gehört, dann könnte man dem Mann die Jacke und die Schlüssel ganz einfach zurückgeben, er braucht sie ja.« Der Mann sieht Miguel an und kippt den letzten Schluck Espresso.
»Da haben Sie Recht«, meint Miguel, »Schlüssel zu verlieren, ist immer eine dumme Geschichte. Und Sie haben sie gefunden, die Schlüssel, meine ich, und sogar die Jacke? Und jetzt suchen Sie den, dem die Sachen gehören. Aber Berlin ist groß.«
»Gewiss doch«, räumt der Mann ein. »Aber schauen Sie …« – er nimmt den Bund wieder in die Hand, aber so, dass ein einzelner Schlüssel herausragt – »das da ist ein Sicherheitsschlüssel, wie er für die Garderoben in Bädern verwendet wird – oder für Spinde, beispielsweise in einem Hotel wie diesem, das sehr viel Personal beschäftigt, und dieses Personal braucht Umkleiden. Sehen Sie, da weiß oder ahne ich schon etwas über den Eigentümer dieser Schlüssel. Aber ich habe ja noch mehr – ich habe diese Lederjacke, von der ich fast sicher bin, dass ein Mann sie getragen hat, kein ganz alter Mann, und ich habe diese anderen Schlüssel« – er fächert den Schlüsselbund auf – »im Gegensatz zu dem ersten, der zu einem modernen Sicherungssystem gehört, sind diese Schlüssel Dutzendware. Wem immer diese Schlüssel gehören mögen – er arbeitet in einem Hotel, dessen Direktion auf Sicherheit großen Wert legt, wohnt aber offensichtlich in einem Haus, in dem man keine Veranlassung oder kein Geld hat, um in ein modernes Sicherungssystem zu investieren. Also?«
»Und diese Schlüssel, die haben Sie einfach so gefunden?«
»Die waren in dieser Lederjacke, ja. Und diese Jacke wurde von jemand getragen, dem sie nicht gehört. Leider kann er nicht mehr erzählen, wie er zu ihr gekommen ist. Er ist …«
»Sie entschuldigen mich«, sagt der Barkeeper und begibt sich zu dem Tisch der beiden moskowitischen Business Men, um eine neue Bestellung entgegenzunehmen, und während er das tut, steckt der Gast am Tresen das Foto und den Schlüsselbund wieder ein. Ein weiterer Mann hat die Bar betreten, gut ein Meter neunzig groß, mit den Schultern und breiten Handgelenken eines Preisboxers, das breitflächige Gesicht von jener wachen kalten Aufmerksamkeit, die nichts und niemandem traut.
Jetzt ist es der Gast am Tresen, der ganz leicht die Augenbrauen hochzieht. Er hatte immer angenommen, der Security Manager eines großen Hotels, das auf seine vielen Sterne bedacht ist, sollte ein Mann von unüberbietbarer Unauffälligkeit sein, jemand also, den man schon vergisst, ehe man ihn überhaupt wahrgenommen hat. Dieser hier, denkt der Gast am Tresen, ist offenbar das Gegenbeispiel. Er sieht so nach Bulle aus, dass man ihn unmöglich für den Hausschnüffler halten wird.
Der Hausschnüffler fängt Miguel ab, nachdem dieser die Bestellung der Russen aufgenommen hat, und stellt ihm halblaut eine Frage, aber was heißt halblaut? Manchmal fällt ein Satz oder eine Frage zusammen mit einem unvermuteten Ausbruch von Stille – weil alle anderen Leute mit einem Schlag zu reden aufhören oder weil die CD eines Jazz-Pianisten schlicht zu Ende ist …
»… Sie sind doch mit Sirko befreundet? Oder kennen ihn etwas näher? Er fehlt und meldet sich nicht … Hat er irgendetwas gesagt oder angedeutet?« Miguel hat offensichtlich keine Ahnung, wo Sirko steckt, und schüttelt so entschieden den Kopf, wie es dem Personal in einem solchen Hotel nur in Ausnahmefällen erlaubt sein wird. Der Hausschnüffler hebt die Preisboxerschultern und lässt sie wieder fallen und will schon weitergehen, als sein Blick auf den Gast am Tresen fällt und einen misstrauischen Augenblick auf ihm verweilt. Schließlich wendet er sich doch ab und geht, während Miguel mit allerhand Wodka- und Tonic-Flaschen herumhantiert, bis er alles beisammen hat und das Bestellte an den Russentisch links hinten bringt. Inzwischen hat der Gast am Tresen auch den Kognak ausgetrunken und bittet um die Rechnung.
»Diese Geschichte mit der fremden Jacke und den Schlüsseln …«, sagt Miguel, während er die Rechnung ausdrucken lässt, »warum will dieser eine Kerl nicht erzählen, wie er dazu gekommen ist?«
»Es ist nicht so,
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