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Schlangenkopf

Schlangenkopf

Titel: Schlangenkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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ist. Folglich hat er von den 625 Euro und 85 Cent aus dem Geldbeutel des Trenchcoat-Mannes noch 19 Euro und 70 Cent, zusammen mit dem, was er selbst noch hatte, sind das 21 Euro und fünf Cent. Soll er die Abschlagzahlung auf 620 Euro aufstocken?
    Nein, entscheidet er. Wenn er eine Großmutter hätte, würde sie ihm nur 600 geben. Nicht 620. Sonst würde sich Kroppenschmitt fragen, warum sie nicht 700 gibt oder 800, oder nicht gleich die ganze Miete übernimmt … Ich mache es richtig, sagt sich André, es ist richtig, dass es 600 sind, und richtig ist auch, dass ich ihm das Geld nicht gleich gegeben habe, er wird jetzt wissen, dass da eine Großmutter ist, dass die Miete bezahlt werden wird, und wenn ihn einer fragt, müsste er antworten, dass ich am frühen Nachmittag noch keine 600 Euro gehabt habe … Er biegt ab, noch bevor er zu den Hackeschen Höfen kommt, die Hausverwaltung ist in einem der ersten Häuser an der mit Kopfsteinen gepflasterten Straße, er klingelt, es dauert eine Weile, dann quäkt die Gegensprechanlage und er meldet sich:
    »… wegen der Miete!«
    Der Türöffner summt, André tritt ein und geht ins Hochparterre, Kroppenschmitt macht die Tür auf und lässt ihn herein, im Büro sind die Jalousien schon heruntergelassen, nur die Schreibtischlampe brennt.
    »So kann man sich täuschen«, sagt Kroppenschmitt. »Mit dir hab ich fast nicht mehr gerechnet. Eigentlich hab ich dir nicht einmal die Großmutter abgenommen.«
    André holt den Briefumschlag heraus. »Sie hat mir das da für Sie mitgegeben. Sechshundert Euro – wenn Sie es bitte nachzählen würden?«
    Kroppenschmitt nimmt den Briefumschlag, aber sein Blick bleibt auf André gerichtet. Im Halbdunkel außerhalb des Lichtkreises der Schreibtischlampe wirkt der Hausverwalter plötzlich verändert oder vielmehr: André nimmt erst jetzt die Veränderung wahr: Kroppenschmitt hat sich für den Feierabend umgezogen, trägt Jeans und ein weißes Hemd, das über der behaarten Brust aufgeknöpft ist und eine Goldkette frei gibt. Es ist warm im Zimmer.
    »Aber setz dich doch erst einmal«, sagt Kroppenschmitt, »und zieh deinen Anorak aus, das ist doch ungemütlich so!« Dann öffnet er den Umschlag und wirft einen Blick auf das Geld. »Sechshundert, na ja«, sagt er dann, ohne nachgezählt zu haben, »das ist nicht viel mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein!«
    »Wollen Sie nicht nachzählen, bitte?«, fragt André, der sich vorsichtig auf den Besucherstuhl niedergelassen hat, so dass er fast auf der vorderen Kante sitzt.
    »Ich glaub dir«, sagt Kroppenschmitt und verstaut den Umschlag in seiner Schreibtischschublade. »Dir und deiner Großmutter. Weißt du, wir müssen jetzt lernen, Vertrauen ineinander zu haben. Wenn ich weiß, dass du aufrichtig bist, dann werde ich dir dabei helfen, alles wieder in Ordnung zu bringen … aber warum ziehst du deinen Anorak nicht aus? Ist es wegen des Verbands?« Kroppenschmitt steht auf und kommt um den Schreibtisch herum auf André zu und will nach der verbundenen Hand greifen, doch André zuckt zurück.
    »Aber wir müssen doch keine Angst haben!«, fährt Kroppenschmitt fort. »Ich bin ausgebildeter Rettungssanitäter, ich verstehe mich auf solche Sachen gut oder sogar noch viel besser als ein Arzt, und deshalb würde ich mir gerne deinen Verband anschauen und die Wunde darunter, der Verband ist schon ein wenig überfällig, weißt du das?« Inzwischen ist er hinter André getreten und beugt sich über ihn, so dass André plötzlich den mit einem schweren Parfüm gemischten Geruch nach Schnaps in der Nase hat.
    »Du wirst sehen«, Kroppenschmitts Stimme wird jetzt leise, fast flüstert er André ins Ohr, »ich bin sehr behutsam und vorsichtig, mein Junge, bei mir brauchst du keine Angst zu haben, dass ich dir weh tu, bei mir doch nicht, und alles was ich tue, das wird auch dir gefallen, das spüre ich doch ..« Er legt seine Hand auf Andrés Brust. »Aber ganz bestimmt wird dir das gefallen, warum sonst muss das kleine Herz so pochen …«
    Ein scharfer Klingelton schneidet durch das Zimmer, Kroppenschmitt schrickt auf, dann flucht er leise. Seine Hände liegen schwer auf Andrés Schultern. Wieder schrillt die Klingel, gleich zwei Mal hintereinander, ein unmissverständliches Signal: Wer immer an der Tür steht, will sich nicht abweisen lassen.
    »Das ist doch …«, sagt Kroppenschmitt, löst sich von André und nimmt den Hörer der Gegensprechanlage auf.«Bitte?«
    »Regulski«, meldet sich eine

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