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Schlangenkopf

Schlangenkopf

Titel: Schlangenkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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ihren Koffer vermutet:
    »Das ist Zlatan, der soll mir helfen!«
    Zlatan nickt der Alten zu, die betrachtet ihn ohne Wohlwollen, dann weist sie halb einladend ins Haus, als ob es ihr gehöre. Er tritt ein, wie eine Wand steht vor ihm der Geruch nach Staub, Moder und altem Mensch. Der enge Korridor mit dem Treppenaufgang zum Obergeschoß ist notdürftig von einer Hängelampe aus buntem, in Blei gefasstem Glas erleuchtet, und die Wände – auch die des Treppenaufgangs – sind voll gehängt mit gerahmten Bildern und Stichen. Elfies Onkel hatte mit Kunst oder mit Antiquitäten oder ganz einfach mit Trödel gehandelt, so hat es ihm Elfie während der Busfahrt erzählt, richtig Geld habe er damit gemacht, aber jetzt …
    »Jetzt wird alles gestohlen sein!«
    Zlatan stellt den Koffer unter einem merkwürdig gebuckelten Garderobenspiegel ab, aber nein! Er soll ihn nach oben bringen, befiehlt Elfie, sie hat da ein Zimmer, schon immer hat sie das gehabt, und so schleppt Zlatan den Koffer nach oben, auch dort ist der Korridor vollgehängt mit Bildern. Elfie stößt eine Tür auf, Zlatan blickt in ein kleines Zimmer mit einem altmodisch hohen Bett ohne Bezug und einem ausladenden, fast barocken Schrank, den die Nachbarin öffnet, um das Bettzeug darin zu zeigen, es riecht, als sei dieses Bettzeug viele Jahre nicht mehr an der frischen Luft gewesen.
    Endlich darf Zlatan den Koffer abstellen. Aber wo wird er bleiben?
    »Die Kammer neben dem Bad!«, schlägt Elfie vor, doch die Nachbarin wendet ein, dass die Kammer vollgestellt ist mit Kartons und altem Zeug. So bleibt nur das Sterbezimmer, es ist größer als Elfies Kammer und hat zwei Fenster, die auf eine zugewachsene Gartenparzelle hinausgehen. Der Geruch nach Krankheit und Moder ist hier noch stärker als sonst im Haus, aber das Bett – das kein altertümliches ist, sondern ein verstellbares modernes Krankenbett – ist wenigstens leer, der Bestattungsdienst hat den Onkel Watzkau schon abgeholt, gestern schon!
    »Du schläfst hier, was soll denn schon dabei sein!«, befindet Elfie. Zlatan widerspricht nicht. Es ist überhaupt nichts dabei, in einem Bett zu übernachten, in dem gestern einer gestorben ist. Er hat Übung in solchen Dingen.
    Elfie erklärt, dass sie jetzt mit Zlatan essen gehen wird, und zwar im »Klaa Paris«, in dem sie schon mit ihrem Onkel war, früher, als der noch aus dem Haus konnte.
    »Und morgen gehen wir gleich zum Nachlassgericht!«
    Die Nachbarin begreift, dass sie jetzt nicht mehr gefragt ist, und wünscht einen schönen Abend. Zlatan denkt, dass Elfie sich eigentlich hätte bedanken können, zumindest dafür, dass sich jemand um den Onkel gekümmert hat, als dieser nicht mehr so recht konnte. Außerdem war sie es, die den Alten am Morgen nach seinem Tod gefunden hat. Es gibt andere alte Männer, die liegen wochenlang und verwesen und stinken vor sich hin, bis jemandem etwas auffällt.
    Aber es ist wohl so, dass Elfie das Wort »danke« einfach nicht kennt, sie hat es nicht in ihrem Wortschatz, also kann man ihr auch keinen Vorwurf machen. Ein Problem gibt es aber trotzdem. Zlatan hat noch nur drei Euro und ein paar Cent.
    »Damit kann ich in kein Restaurant.«
    Noch immer stehen sie im Sterbezimmer. Eine Deckenlampe aus gelblichem Glas beleuchtet den Raum mit dem leeren Bett und der in der Mitte bräunlich verfärbten Matratze und den Medizinfläschchen, die noch immer auf dem Nachttischchen stehen, mit dem alten Ohrensessel aus rissigem Leder und den vielen Bildern an den Wänden, vergilbt oder mit dunkler Patina überzogen. Er wendet den Blick wieder der Frau zu, die klein und ein wenig unförmig vor ihm steht und deren Blick aus halbkugelförmigen Brillengläsern irgendwie an ihm vorbeigleitet.
    »Ja, wenn das so ist …«, bringt sie schließlich heraus, »es muss da auch einen Imbiss geben, ein Wasserhäusche, sagen die Leute hier, da kriegen wir auch eine Bulette oder eine Heiße Rote … so viel Hunger hab ich gar nicht.«
    A ndré läuft die Straße hinunter, vorbei an den anderen Passanten, überholt die mit ihren Einkaufstaschen beladenen Frauen, weicht Kinderwägen aus und Fahrrädern, die geschoben werden, und geht nur langsamer, wenn ein Hund entgegenkommt. Es ist die Zeit des späteren Nachmittags, Wolken sind aufgezogen und liegen grau auf der Stadt, und in der Brusttasche seines Anoraks hat er einen Briefumschlag mit 600 Euro … Die Dose Ravioli hat 2,15 Euro gekostet und der Comic-Band nur vier Euro, weil er schon sehr zerlesen

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