Schlangenkopf
seinen Mantel an und hilft der Professorin Stein in den ihren, und als sie an dem Menschen mit dem fettigen grau-schwarzen Haar vorbeikommen, blickt der nicht einmal auf.
»Was war das für ein Vogel?«, fragt sie, als sie sich von Dingeldey verabschiedet haben und den Weg zum Institut einschlagen.
»Ein Schlapphut«, antwortet Berndorf.
»Wie bitte?«
»Ich tipp mal auf BND, er kann aber auch von der Berliner Polizei sein, Dezernat Staatsschutz.«
»Und warum, bitte, sollte so jemand hinter dir oder mir oder hinter uns beiden her sein?«
»Vielleicht gibt es Leute, denen nicht gefallen hat, was du am Starnberger See gesagt hast«, antwortet Berndorf und geht zur Seite, um einem entgegenkommenden, schwarz gewandeten älteren Herrn Platz zu machen. »Oder denen nicht gefällt, wonach ich mich so erkundige. Verstehst du jetzt, dass mich Zlatan immer mehr interessiert?«
Barbara aber scheint gar nicht mehr zuzuhören, sie ist stehen geblieben und begrüßt den älteren Herrn, der seinen breitkrempigen Hut vom runden, mit einer weißen Stoppelhaarfrisur bedeckten Haupt gezogen hat und der unter dem offenen Lodenmantel einen hoch geschlossenen Anzug trägt und einen Priesterkragen. Mit einiger Verwunderung registriert Berndorf, dass Barbara mit dem Herrn in Schwarz auf einem offenbar sehr freundschaftlichen Fuß steht, auch ihm wird er mit Barbaras üblicher Floskel vorgestellt: »Und das ist Berndorf!« Den Geistlichen – es handelt sich Barbaras Angaben zufolge um Monsignore Johann Baptist Feichtmayr – scheint das aber nicht zu stören, die beiden Männer tauschen einen Händedruck, und schließlich geht jeder seiner Wege.
»Du kennst Leute!«, sagt Berndorf, als der Schwarze außer Hörweite ist.
»Das ist ein interessanter Vogel«, behauptet Barbara. »In der Erzdiözese Berlin läuft nichts, was nicht zuvor seinen Schreibtisch passiert hatte. Aber zur Erholung hat er bei den Philosophen einen kleinen Lehrauftrag und liest über irgendwelche mittelalterlichen Denker.«
E inmal lang drücken: das ist das Rufsignal. Einmal kurz heißt Ja, zweimal drücken heißt Nein, Ja und Nein leuchten auf dem Bildschirm auf, der steht neben dem Bett. Auch du kannst es lesen, obwohl die Schrift verwischt ist und flackert. Ja und Nein, mehr braucht es nicht, wer hat das gesagt? Das weißt du doch, wer das gesagt hat, irgendwo in der Wüste wird das gewesen sein, nur hat sich jener selbst sehr viel mehr Worte zugestanden als eben diese beiden, früher ist dir das verlogen vorgekommen, die einen haben die Worte und die Macht darüber und sind also die Hirten, und die anderen sagen Muh! oder Mäh! und nichts sonst …
Aber jetzt? Jetzt bist du im Gehirn geschlagen – hat es nicht die Ärztin mit den roten Haaren so gesagt? –, welche Worte willst du noch sagen und wem? Einmal hast du gelesen, Worte seien nur dazu da, zu benennen, was nicht ist. Und ein anderes Mal bist auch du in der Wüste gewesen, in diesem Kloster mit den bettelnden Kindern draußen, auf der Fahrt war der Bus an Felswänden vorbeigekommen, von den Sandstürmen waren verschlungene Zeichen in die Felsen eingeschliffen, für einen Augenblick war dir gewesen, du würdest alles darum geben, diese fremde verschlungene Schrift lesen zu können … Warum? Weil die Wahrheit das ist, was du nicht lesen, nicht aussprechen, nicht aufschreiben kannst. Die Wahrheit bleibt übrig, wenn alle Worte verbraucht sind. Bist du jetzt also der Wahrheit näher?
Die Tür öffnet sich, leise. Wieder die Ärztin mit den roten Haaren? Ein Rascheln, als ob du nichts hören sollst. Jemand ist ins Zimmer gekommen, aber nicht zu deinem Bett. Eine Gestalt, keine Ärztin, keine Schwester, irgendwie verwischt, jemand steht am Schrank, hat die Tür aufgezogen, ein Anzug? Das ist dein Anzug, du hast ihn getragen, damals, bevor das Gehirn geschlagen war. Ein halbes Kind, nein, ein Halbwüchsiger, wozu ihn beobachten, es ist anstrengend, du musst dich nicht anstrengen, oder doch?
Ein Bürschchen, das ist das Wort. Es kommt näher. Warum meinst du, du hättest es schon einmal gesehen? Der Verband. Die Diebeshand tut so, als sei sie bereits bestraft für das, was sie stehlen wird. Das Rufsignal? Wozu? Was dir geschehen soll, davon ist das meiste schon eingetreten. Auf den Rest kommt es nicht mehr an. Und das Bürschchen beobachtet dich, du kannst es spüren, willst du nicht den Blick zurückgeben? Zu müde.
Wieso die Schublade? Ach ja: Brieftasche. Portemonnaie. Den kleinen Terminkalender.
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