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Schlangenkopf

Schlangenkopf

Titel: Schlangenkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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sondern betrachtet die Schublade mit dem Besteck. Oder genauer: Er betrachtet nicht die Schublade, sondern das eine Küchenmesser, das darin liegt. Es hat einen Holzgriff, die Klinge ist vielleicht dreißig Zentimeter lang und ziemlich scharf geschliffen. Die Elke hat damit manchmal Fleisch klein geschnitten oder Gemüse.
    »Dieser Umschlag da«, fährt der Bilch fort, »in dem muss doch Geld drin sein, das riecht förmlich danach, der gute alte Bilch hat ein Näschen für so etwas …« Er nimmt den Umschlag und schaut hinein. »Drei Hunderter! Nett. Heute Morgen noch bist du genauso blank gewesen wie ich, und jetzt das! Ich glaube, ich sollte bei dir in die Lehre gehen.«
    »Es ist Geld von meiner Großmutter, für die Miete, weißt du«, antwortet André, schließt die Schublade wieder und bringt den Löffel und die Dose, in der sich aber nur noch ein kleiner und etwas verklebter Rest Zucker befindet.
    »Von deiner Großmutter? Komisch. Elke hat mir nie von der erzählt.«
    »Es ist die Mutter von meinem Vater«, erklärt André eilig und wendet sich dem Wasserkocher zu, in dem es bereits zu sieden beginnt.
    »Ah, die Großmutter väterlicherseits!« Der Bilch lehnt sich ein wenig zurück, die Arme vor der Brust verschränkt. »Schön, dass sich diese Seite der Familie auch mal um was kümmert … Aber, André – kannst du dich nicht mal umdrehen?«
    »Warum?«, fragt André zurück und blickt immerhin zum Tisch zurück. »Das Kaffeewasser kocht gleich.«
    »Das merken wir dann auch so«, meint der Bilch. »Ich wollte dich nämlich fragen, wann wir damit aufhören können, einander Komödie vorzuspielen.«
    »Ich weiß nicht, was du meinst«, antwortet André.
    »Doch, das weißt du ganz genau.« Der Bilch bückt sich zu seinem Aktenköfferchen und hebt es schnaufend hoch und stellt es auf seine Knie. Dann öffnet er die Verschlüsse und holt das Lügenblatt heraus, es ist die Ausgabe mit dem Phantom der Charité, und der Bilch legt die Zeitung so hin, dass das Bild des Phantoms mit dem verbundenen Arm ins Auge springt.
    »Wirklich«, sagt der Bilch, »wir müssen uns doch nichts vormachen, wir beide doch nicht! Heute Morgen hast du mitgekriegt, wie die Bullen meinen Laden hochgenommen haben, und um ein Haar hätten sie auch mich kassiert. Ein Fressen wäre das für die gewesen! Dabei ist das noch gar nichts. Was glaubst du, wie die darauf abgefahren wären, wenn sie uns beide hätten schnappen können, den armen alten Bilch und das Phantom der Charité … Es hätte nur einer in den Park gucken müssen, und da hätte er uns beide sitzen und reden sehen!«
    Der Wasserkocher hat sich – Wolken von Dampf ausstoßend – selbst ausgeschaltet. André nimmt ihn von seiner Heizplatte und stellt ihn vor den Bilch auf den Tisch. Dann setzt er sich ihm gegenüber und schaut ihm geradewegs in die Augen.
    »Gehst du heute Abend mit mir zum Hausverwalter?«, fragt er. »Versprich es mir.«
    Der Bilch legt den Kopf ein wenig schief und runzelt die Stirn. »Was willst du bei dem?«
    »Das Geld in dem Umschlag bringen. Aber es reicht nicht. Und …« – André weiß nicht so recht, was er wie erklären soll – »… der fasst einen so komisch an.« Plötzlich merkt er, dass er einen roten Kopf bekommen haben muss.
    »Hoppla!«, sagt der Bilch, »der Hausverwalter … da eröffnen sich ja immer neue Ansatzpunkte! Selbstverständlich gehe ich mit dir zu diesem Hausverwalter, aber ich bin mir gar nicht sicher, ob diese freundlichen netten drei Hunderter« – er deutet auf den Umschlag – »wirklich für ihn bestimmt sind. Um ehrlich zu sein, ich stelle mir da ganz andere Dinge vor.« Er öffnet die Dose mit dem Pulverkaffee, nimmt drei Löffel in seine Tasse und gießt mit dem heißen Wasser auf. »Und weil ich dir hiermit feierlich verspreche, dich zu diesem Hausverwalter zu begleiten, erzählst du mir alles, was bisher mit diesem Herrn so abgelaufen ist …«
    E in kleines bosnisches Mädchen, das mitansehen musste, wie serbische Soldaten seine Eltern töteten, kam in eine psychiatrische Klinik. Auf die Frage eines Psychologen, wovor es die größte Angst habe, antwortete das Kind:
    »Vor den Menschen …«
    Berndorf liest diese Stelle – es ist eigentlich nur eine Anmerkung oder eine Fußnote – und legt das Buch zur Seite, es ist eben jenes, das ihm Barbara empfohlen hat: Die Kultur der Lüge von Dubravka Ugresic. Ihm ist, als begegne ihm in dieser Fußnote zusammengefasst, was ihm seit zwei Stunden Unbehagen bereitet

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