Schlangenkopf
herunter. »Und Sie wollten jetzt ein Buch mit ihm machen? Ein Buch über den Jugoslawien-Krieg? Über EuroStrat? Oder den Afghanistan-Einsatz?«
Barbara Stein hat – kaum merklich – die Augenbrauen hochgezogen. Diese Frau da scheint ihr nicht zu glauben. Was noch schlimmer ist: Damit hätte sie auch noch Recht. »Ich weiß noch nicht«, gibt sie kühl zurück. »Aber eine Dokumentation über deutsche Auslandseinsätze seit 1990 könnte doch allemal interessant sein, finden Sie nicht? Diese schrittweise Aneignung von Großmachtallüren …«
In diesem Augenblick wird sie von einer aufgebrachten Stimme unterbrochen:
»Da sind Sie ja!«
Sie blickt auf, die Stimme gehört Faussers Tochter Vera, das von strähnigem blonden Haar eingerahmte Gesicht ist gerötet, und ganz offenbar ist nicht sie gemeint, sondern Carla Jankewitz.
»Seine Brieftasche und sein Geldbeutel sind verschwunden! Sie hatten doch gesagt, Sie hätten die persönlichen Sachen meines Vaters hierhergebracht, auch sein Notebook?«
»Das habe ich doch auch«, entgegnet Carla Jankewitz, »Brieftasche und Portemonnaie sind in der Nachttischschublade, das Notebook habe ich auf die Ablage gelegt. Ich habe angenommen, Sie würden es dann mit sich nehmen wollen …«
»Das kann nicht sein …«
»Es ist aber so. Es tut mir leid, dass ich Ihnen keine Quittung vorlegen kann. Ihr Vater ist derzeit nicht in der Lage, eine Quittung auszustellen, wissen Sie?«
Das wird heute nichts mehr, denkt Barbara Stein und steht auf.
A ndré geht zwar schon eine ganze Weile nicht mehr zur Schule, aber einen Schreibtisch hat er trotzdem, einen schönen Tisch aus hellem Holz, mit allerhand Aufklebern darauf, die er früher einmal lustig fand. Aber es ist ein richtiger Schreibtisch, und jetzt sieht er auch so aus, wie es sich gehört: Es steht nämlich ein aufgeklapptes Notebook darauf.
Es gibt nur ein Problem dabei. Er hat das Notebook zwar einschalten können, und der Akku scheint auch noch aufgeladen zu sein. Aber er hat kein Passwort. Es müsste sechs Stellen haben, und den Idiotentrick, es sechs Mal mit der Leertaste oder der Null zu versuchen, lässt er lieber bleiben. Der Mann vorhin im Krankenhausbett sah irgendwie so aus, als ob er es sich so einfach nicht gemacht hätte.
Was tun? Irgendwo hat er einmal gelesen, dass manche Leute das Passwort – oder die Geheimzahl – für ihr Notebook auf einen Klebezettel schreiben und den dann unten an ihrem Gerät festmachen. Nur ist da kein Klebezettel. Trotzdem: Wie merkt man sich ein sechsstelliges Passwort? Am einfachsten wäre es, wirklich ein Wort und nicht eine Zahl zu nehmen: Öffnen zum Beispiel, das hätte sechs Stellen, und gut merken kann man es sich auch.
Aber das Notebook versteht Öffnen nicht.
Was jetzt? Zu oft will er es nicht probieren, damit das Notebook nicht blockiert, wie einem das mit einer Scheckkarte passieren kann, wenn man die Geheimzahl nicht kennt: Einmal zu oft die falsche Zahl eingegeben, und schon wird die Karte eingezogen. Plötzlich fällt ihm ein, dass er in der Brusttasche ja noch den Taschenkalender hat, den von dem Mann aus der Klinik. So einen hat auch die Elke, und weil sie immer Angst hat, dass sie im entscheidenden Moment die Ziffern durcheinander bringt, hat sie zur Sicherheit die Geheimzahl von ihrer Scheckkarte dort reingeschrieben. Aber die Elke ist schlau. Die Geheimzahl steht zwar drin, aber jemand Fremdes hätte sie gar nicht entdeckt. Zu dem Terminkalender gehört nämlich ein Adressenverzeichnis, und da hat sie dann ganz einfach unter »M« wie Money hineingeschrieben: Gustav Moos, Tel. 1635, und das war dann die Geheimzahl. Und sie hat sich auch nie vertan, nur dass auf dem Konto jetzt schon lange kein Geld mehr ist.
Er holt den Taschenkalender heraus, und der hat ganz richtig im Anhang ebenfalls ein Adressenverzeichnis. Aber es sind nicht viele Namen notiert, und bei den meisten davon sind mehrere Telefon-Nummern eingetragen, sowohl solche aus dem Festnetz als auch Nummern für das Handy. Nur – wenn er sich beim Durchblättern nicht versehen hat, gibt es in dem ganzen Adressenverzeichnis überhaupt keine einzige Zahl mit nur sechs Stellen.
Warum nicht? Weil es wahrscheinlich gar keine Telefonnummern mit sechs Stellen gibt. Jedenfalls dann nicht, wenn man die Vorwahl dazunimmt. Und Handy-Nummern haben zwölf Stellen.
Moment! In Städten, die nicht so groß sind wie Berlin, könnte es Telefonnummern mit sechs Stellen geben – ohne die Vorwahl gerechnet. Wenn der
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