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Schlangenlinien

Titel: Schlangenlinien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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Mann Annies Krankengeschichte so gründlich ignorieren würde.« Sie sah den plötzlichen Hoffnungsschimmer in meinem Gesicht. »Das Urteil wäre nicht anders ausgefallen«, sagt sie beinahe entschuldigend. »Es gab keinerlei Indizien, die nahe legten, es könnte etwas anderes als ein Unfall gewesen sein. Aber mich hat wirklich die Wut gepackt, als ich später gehört habe, wie man sie verleumdet hat. Das war der reinste Rufmord.«
    Ich dachte zynisch, dass der Schmerz, den ich in Annies letztem Blick gesehen hatte, nichts mit der Sorge um ihren guten Ruf zu tun gehabt hatte. »Haben Sie den Bericht des Pathologen gelesen?«
    Sie nickte. »Man hat mir eine Kopie geschickt, zusammen mit dem abschließenden Bericht über die Untersuchung der Todesursache. Er war sehr klar. Sie wurde von einem Lastwagen gestreift und an einen Laternenpfahl geschleudert. Offen gestanden, so etwas musste früher oder später einmal passieren – man hätte nie zulassen sollen, dass die Graham Road von sämtlichen Autofahrern als Abkürzung benutzt wird. Aber ich dachte immer, es würde ein Kind treffen, nicht einen Menschen wie Annie, der so sehr um seine eigene Sicherheit besorgt war.«
    Ich nickte. »Sie hatte an dem Abend einen dunklen Mantel an, und das Wetter war fürchterlich – es hat gegossen wie aus Kübeln. Ich habe sie nur bemerkt, weil ich beinahe über sie gestolpert wäre, als ich die Straße überquerte.« Ich berührte Sheilas Arm, als sie sich anschickte, die vordere Tür ihres Wagens zu öffnen. »Sie sagten, Sie seien wütend gewesen über die Art und Weise, wie man Annies Ruf zerstört hat. Haben Sie da mal nachgehakt?«
    Ihr Blick bekam etwas Ernstes. »Erst drei Jahre später. Es klingt vielleicht herzlos, aber während ich in den Staaten war, habe ich überhaupt nicht mehr an sie gedacht. Erst als ich das Haus wieder sah, fiel mir ein, danach zu fragen, was aus Annies Sachen geworden sei.«
    »Sie wurden vermutlich verkauft.«
    Sie fuhr zu sprechen fort, als hätte sie mich nicht gehört. »Aus Annies Verhalten und ihrer Art, sich zu kleiden, gewannen die meisten Menschen einen völlig falschen Eindruck von ihr. Sie war beileibe keine arme Frau, wissen Sie. Sie hat mir einmal eine Liste gezeigt, die ein Schätzer von ihren Kunstgegenständen aufgestellt hatte, und soweit ich mich erinnere, belief sich der gesamte Schätzwert auf mehr als fünfzigtausend. Das war in den Siebzigern eine Menge Geld.«
    »Die Polizei muss doch gewusst haben, was aus den Sachen geworden war«, sagte ich. »Haben Sie mit denen mal geredet?«
    Sie antwortete mit einem theatralischen Schaudern. »Nicht mit
denen
«, sagte sie wegwerfend. »Nur mit einem, einem Sergeant Drury – ein jüngerer Bruder Stalins, nur noch raubeiniger und aggressiver. Es war sein Fall, also durfte ich nur mit ihm sprechen.«
    Ich lachte. »Den kenne ich. Die Beschreibung ist gut.«
    »Hm, ja, wie dem auch sei, er behauptete, Annie wäre völlig mittellos gewesen. Am Tag nach dem Unfall ist die Polizei mit zwei Leuten vom Tierschutzverein in das Haus gegangen, um die Katzen herauszuholen, und Drury behauptete, da wäre nichts von Wert vorhanden gewesen. Seiner Beschreibung nach sah es da drinnen aus wie in einem Schweinestall.«
    Ich nickte wieder. Ich erinnerte mich. »Ja, das kam bei der gerichtlichen Untersuchung über die Todesursache zur Sprache. Der Coroner sagte, der Tierschutzverein hätte ihr die Tiere schon wegnehmen sollen, als sich die Nachbarn das erste Mal über den Gestank beschwerten.«
    »Aber Schmutz und Schlamperei waren Annie ein Gräuel«, sagte Sheila Arnold. Sie schob sich hinter das Lenkrad ihres Autos. »Ich habe sie regelmäßig besucht. Sie hätten das mal erleben sollen, alle zehn Minuten ist sie aufgesprungen, um sich die Hände zu waschen. Die Angst vor Bakterien war eine fixe Idee bei ihr. Das kommt übrigens beim Tourette-Syndrom häufig vor. Und sie hat zwanghaft mindestens einmal in der Stunde nachgeprüft, ob die Riegel an der Haustür vorgeschoben waren. Drury hat mir natürlich nicht geglaubt. Die Geschichte war drei Jahre her, und er entschied ganz einfach, ich verwechselte das Haus mit einem anderen.« Sie beugte sich nach draußen, um ihre Tür zuzuziehen.
    Ich hielt die Tür fest. »Moment! Was hat er Ihnen nicht geglaubt?«
    Sie sah mich überrascht an. »Ach so – dass Annies Haus ausgeplündert und alles gestohlen worden war, was nur den geringsten Wert besaß.«

    In der Vergangenheit waren Sam und ich vor Gesprächen

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