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Schlangenlinien

Titel: Schlangenlinien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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Alan derjenige, der Maureen prügelte, als ich noch in der Graham Road wohnte?« Ich dachte zurück. »Irgendwann im Februar 1979?«
    Wieder nickte Michael. »Sie war betrunken und fing an, ihn zu beschimpfen und zu schlagen, und das hat er sich nicht gefallen lassen. Er hat sich wie ein Wilder auf sie gestürzt – das hat er von seinem Vater gelernt, wie die meisten anderen Dinge auch.«
    »Wer hat den Rettungsdienst angerufen?«
    »Derek. Der kam ungefähr eine Stunde später heim und fand sie da auf dem Boden, und daneben den kleinen Danny, der versuchte, das Blut aufzuwischen. Alan war im Garten und hat geheult, weil er dachte, er hätte sie umgebracht.«
    Ich sah ihn forschend an. »Wusstest du das damals schon, oder hat Derek dir das später erzählt?«
    »Derek hat's mir erzählt«, gab er zu, »aber ich konnte es mir gut vorstellen, als ich daran dachte, was Alan Rosie angetan hatte.«
    »Nur hat Maureen behauptet, Derek wäre es gewesen«, murmelte ich.
    »Ja, aber die hat doch immer gelogen wie gedruckt. Einmal hat sie Danny den Arm gebrochen, einfach übers Knie gelegt und abgeknickt, und hinterher hat sie bei den Ärzten Stein und Bein geschworen, er wär vom Fahrrad gefallen. Wir Kinder wussten genau, dass es nicht wahr war, weil sie es nämlich vor unseren Augen getan hatte.« Er kniff die Lippen zusammen, dass sie ganz schmal wurden. »Sie war eine gruslige Frau, und wenn wir nicht solche elenden Feiglinge gewesen wären –« Er brach ab und starrte stumm auf die Tischplatte hinunter. »Derek war stocksauer, als ich ihm das erzählt hab. Deswegen wollte er seinen Kindern schreiben. Er hat sich wirklich was aus ihnen gemacht.« Er hob den Blick und sah mich an. »Ich weiß schon, was Sie jetzt denken. Michael ist doch nicht so helle, wie ich gedacht hab. Er verbringt ein paar Monate in der Gesellschaft eines Mannes, den er verachtet, und am Ende lässt er sich von ihm einwickeln. Gut, das kann wahr sein, aber eines weiß ich mit Sicherheit: Derek ist so dumm, dass sogar ein Vollidiot ihm was vormachen könnte. Es stimmt schon, er war ein Schläger und ein brutaler Kerl, aber das war er alles nur auf Befehl. Er war wie ein ferngesteuertes Geschoss. Man brauchte ihn nur auf ein Ziel anzusetzen und ihm seine Anweisungen zu geben, und – peng! – schon knallte es.«

    * * *

    E-Mail von Dr. Joseph Elias, Psychiater am Queen Victoria Hospital, Hongkong
    von: Sarah Pyang ([email protected])
    Datum: 15. August 1999, 14 Uhr 19
    an: [email protected]

    Nach Diktat von Dr. Elias
    Ja, das sind die Wunder der modernen Technologie? Meine Sekretärin sagte mir, dass sie gestern (Samstag) Ihre E-Mail erhalten hat und dass Sie eine postwendende Antwort wünschen. Gern erfülle ich Ihnen Ihren Wunsch, aber ich frage mich doch, ob schnelle Antworten klug sind.
    Sie bombardieren mich mit Fragen. Wen trifft die größere Schuld: den Planer eines Verbrechens oder denjenigen, der es ausführt? Sollte man wegen eines einzigen schwarzen Schafs die gesamte Polizeibehörde in Verruf bringen? Darf Gerechtigkeit selektiv sein? Kann der Schaden, der einem Kind durch seine Mutter zugefügt wird, je wieder gutgemacht werden? Können Vergewaltiger geheilt werden? Können Kinder böse sein? Gibt es ein Verbrechen, das entschuldbar ist? Sollten Kinder für die Sünden eines Vaters bestraft werden? Oder für die einer Mutter?
    Ich will nicht vorgeben, die Weisheit gepachtet zu haben, aber glauben Sie nicht, dass Sie sich, wenn es Ihnen wirklich um Gerechtigkeit für Ihre Freundin geht, allzu viel Autorität anmaßen, allein indem Sie solche Dinge denken? Das sind keine Fragen, die Sie zu beantworten haben, meine Liebe. Gerechtigkeit kennt keine Voreingenommenheit. Nur Rache kennt Vorurteile.
    Aber haben Sie diese Vorurteile denn in all den Jahren nicht stets bekämpft?
    Mit den besten Wünschen,
    Joseph Elias

25
    Es war drei Uhr, als ich in meinen Wagen stieg und zur Hauptstraße hinunterfuhr. Jedes Mal, wenn ich eine Haarnadelkurve umrundete, breitete sich unter mir das beeindruckende Panorama von Bucht und Strand aus, aber ich war viel zu beschäftigt mit Nachdenken über Mütter und Mutterschaft, um es bewusst wahrzunehmen. Manchmal fragte ich mich, ob meine Bereitschaft, die Sharon Percys und Maureen Slaters dieser Welt zu verurteilen, nicht ein Mittel war, meine eigene Mutter – und über sie mich selbst – zu bestrafen. Denn alles, was ich in meiner Eigenschaft als Mutter tat, geschah entweder in Nachahmung ihres

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