Schlangenlinien
Verhaltens oder aus Abwehr dagegen, und ich hatte keine Ahnung, was richtig und was falsch war.
Für Sharon, die ihren Sohn abgewimmelt hatte wie ein peinliches Anhängsel, sobald Geoffrey Spalding ihr mit seinem Einzug in ihr Haus erlaubt hatte, sich als »anständige Frau« aufzuspielen, empfand ich nichts als Verachtung. Und ich konnte nicht verstehen, warum sich Michael jedes Mal, wenn im Gespräch ihr Name gefallen war, so ängstlich besorgt gezeigt hatte, wo Zorn oder Wut doch die angemessenere Reaktion gewesen wäre. Bei Maureen hatte er ja auch nicht mit seiner Wut zurückgehalten. Sollte etwa die Tatsache, dass Sharon wegen ihres missratenen Sohnes die Ächtung der Gesellschaft fürchtete, sie automatisch unfähig machen, einen Mord zu begehen? Und sollte die Tatsache, dass Maureen alles getan hatte, um Alans Schandtaten geheim zu halten, und meiner Überzeugung nach die Anstifterin der Hasskampagne gegen Annie und mich gewesen war, sie automatisch des Mordes fähig machen?
Ich war müde und ein wenig niedergeschlagen, und ich hatte nicht vorgehabt, an diesem Nachmittag bei Danny vorbeizuschauen. Aber als ich die Kreuzung am Ende der Verne Common Road erreichte, bog ich spontan nach links, zum Steinbruch, ab.
Eine knappe Viertelstunde später hatte ich die provisorische Werkstatt erreicht.
»Na, wie geht's denn voran?«, fragte ich Danny, der wie bei meinem letzten Besuch an der Gandhi-Büste arbeitete.
Er ließ Hammer und Meißel sinken. »Ach, ganz gut«, antwortete er mit einem zufriedenen Lächeln. »Und wie läuft's bei Ihnen?«
»Ich habe Michael Percy besucht. Er lässt Sie grüßen. Falls Sie sich langweilen, ist er gern bereit, Sie mal ein Weilchen im Besucherraum zu unterhalten, lässt er Ihnen ausrichten.«
Danny grinste. »Ein Komiker, hm?« Er legte seine Werkzeuge auf den Boden und fegte sich Staub von den Armen. »Worüber sollten wir schon miteinander reden? Der kennt mich doch nur als freche kleine Rotznase.« Er kramte seine Zigaretten aus der Hosentasche und lehnte sich neben Gandhi an einen Felsvorsprung. »Er hat mir mal eine Moralpredigt gehalten, als er mich hinter der Kirche erwischt hat, wie ich Kleber gesnieft hab.«
Ich setzte mich neben ihn. »Und – hat es genützt?«
»Ja, hat es tatsächlich. War nämlich ganz okay, wie er das gemacht hat. Erst hat er gesagt, er könnte verstehen, warum ich das tue, und dann hat er mir sehr drastisch beschrieben, wie es ist, wenn man erstickt. Er sagte, dass ich vom Leben mehr zu erwarten hätte, als mit einer Nase voll giftiger Dämpfe zu krepieren.« Lächelnd warf er mir einen Seitenblick voller Selbstironie zu. »Also hab ich es stattdessen mit Heroin versucht.«
Vermutlich war mir meine Ernüchterung anzusehen. »Das heißt, dass Mr. Drurys Terrorstrategie besser gewirkt hat als Michaels freundlicher Vortrag?«
Dannys Lächeln wurde breiter. »Ich hab sowieso nie gern gesnieft... Und mit dem Heroin –« Er lachte plötzlich. »Hey, ich hatte mindestens schon eine halbe Stunde auf dem Lokus gehockt und versucht, irgendwo den Mumm herzukriegen, um mir diese verdammte Nadel reinzuhauen, bevor Mr. Drury mich erwischte. Ich hatte immer Angst vor den Dingern.«
Ich betrachtete ihn mit Wärme. »Sie hatten sowieso aufhören wollen?«
»Klar – mindestens mit dem Spritzen. Ich hab dann noch eine Weile geraucht, bis ich mir eines Tages gesagt hab, zum Teufel damit, ich brauch dieses Zeug nicht. Cannabis ist mir viel lieber. Da behält man die Dinge besser im Griff.«
»Warum haben Sie das Ihrer Mutter nicht gesagt, anstatt Drury die Lorbeeren einheimsen zu lassen?«
»Weil sie mir nicht geglaubt hätte.« Er drehte seine Zigarette zwischen den Fingern. »Sie hätten's mir auch nicht geglaubt. Ich war ein ganz schön übler Bursche damals, und so leicht kriegt man die Leute nicht dazu, ihre Meinung über einen zu ändern, wenn man sie immer nur enttäuscht.«
Ich nickte. Diese Erfahrung hatte ich in meiner Zeit als Lehrerin oft genug gemacht. Einmal in Verruf, immer in Verruf. Vorurteil, das kein Pardon kennt, genau die Sorte, die ich, wie Dr. Elias mir ausdrücklich ins Gedächtnis gerufen hatte, so sehr verabscheute. »Was meinte Michael eigentlich, als er sagte, er verstünde es, dass Sie snieften?«
»Er wusste, wie's mir zu Hause ging. Wir waren nur zu zweit, meine Mutter und ich, und einer hat den anderen gehasst wie die Pest. Sie war die meiste Zeit im Vollrausch und total weggetreten –« Er schüttelte den Kopf. »Und
Weitere Kostenlose Bücher