Schlangenlinien
wenn sie's nicht war, dann ist sie unweigerlich auf den Erstbesten losgegangen, der ihr in den Weg kam. Meistens war das ich. Es war ganz schön deprimierend. Sie hat echte Probleme, aber es fällt ihr gar nicht ein, irgendwas dagegen zu tun. Sie schließt sich lieber in ihr Zimmer ein und säuft bis zur Besinnungslosigkeit.«
»Hat sie mal gesagt, was für Probleme sie hat?«
»Sie meinen, abgesehen von der körperlichen Abhängigkeit?«
Ich nickte.
»Na, die gleichen wie jeder andere Süchtige«, antwortete er mit einem Achselzucken. »Angst vor dem Leben – Angst vor dem Schmerz – Angst davor, sich selbst genauer anzuschauen, weil man ja etwas sehen könnte, was einem nicht gefällt.«
Ich fragte mich, ob er Recht hatte. »Sie schien aber ganz gut beisammen zu sein, als ich bei ihr war.«
»Nur weil sie wusste, dass Sie kommen würden«, versetzte er verächtlich. »Aber Sie können sich drauf verlassen, dass sie spätestens fünf Minuten, nachdem Sie weg waren, wieder mit ihren Zigaretten und ihrer Flasche vor dem Fernseher hockte. Sie kann eine Zeit lang den Schein wahren – aber sie ist viel zu träge, um sich zu ändern. Es kotzt mich wirklich an.«
»Besuchen Sie sie ab und zu?«
»Nein. Das letzte Mal hab ich sie bei Tansys Taufe gesehen. Ich ruf sie alle heiligen Zeiten mal an, damit sie weiß, dass ich noch lebe, aber von uns Kindern interessiert sie sowieso nur einer, und das ist Alan. Er war immer ihr Liebling. Ihm würde sie alles verzeihen – mir und meinen Schwestern nicht.«
Ich nickte. »Was hat Sie bewogen, sich zu verändern und nicht der ‘üble Bursche’ zu bleiben, der Sie vorher waren?«
Er dachte darüber nach. »Das Gefängnis«, antwortete er und lachte. »Ich kam mit sechzehn wegen Autodiebstahl in den Knast. Es war das Beste, was mir je passiert ist. Dadurch bin ich von der Graham Road weggekommen. Hab endlich mal angefangen, drüber nachzudenken, was ich eigentlich vom Leben wollte.« Er wies mit seiner Zigarette auf Gandhi. »Ich hab einen Kunstlehrer kennen gelernt, und der hat mir gezeigt, dass ich in der Richtung begabt bin – er war ein netter Kerl – er hat mir einen Studienplatz an der Kunsthochschule verschafft – er und seine Frau haben mich sogar bei sich aufgenommen, bis ich was Eigenes gefunden hatte.«
Vielleicht hatte ich mich getäuscht; vielleicht war Dannys Veränderung zum Guten gar nicht Beth zu verdanken, sondern einem unbekannten Kunstlehrer. »So eine Gefängnisstrafe kann also tatsächlich etwas bewirken?«
»Nur wenn man es will.«
»Wollte Alan es? Hat er es so geschafft, neu anzufangen?«
Danny zuckte die Achseln. »Es ist ihm im Knast ziemlich dreckig gegangen – die anderen haben ihn schikaniert, weil er nicht gerade einer der Schlauesten war. Natürlich wollte er dann nicht wieder zurück, er hatte Angst. Dann hat er Beth kennen gelernt und eine Zukunft für sich gesehen – obwohl sie ihn ewig hingehalten hat, ehe sie sich bereit erklärte, ihn zu heiraten.« Wieder ein Achselzucken – verächtlicher diesmal. »Michael scheint der Knast nicht besonders gut getan zu haben.«
»Und Ihrem Vater auch nicht«, meinte ich. »Michael hat mir erzählt, dass er und Ihr Vater vor fünf Jahren zusammen im Scrubbs waren.«
»Dieser Michael ist ja der reinste Glückspilz«, sagte Danny sarkastisch.
»Er hat mir erzählt, dass Ihr Vater Analphabet ist, dass er noch nicht einmal seinen eigenen Namen schreiben kann. Deshalb hat Michael ein paar Briefe für ihn geschrieben. Er sagte, es wäre auch einer an Sie darunter gewesen, aber Sie hätten nie geantwortet.«
»Er lügt«, sagte Danny scharf. »Der Alte interessiert sich doch überhaupt nicht für mich.«
»Ich glaube nicht, dass er lügt.«
»Wohin hat er den Brief denn geschickt?«
»An die Adresse Ihrer Mutter.«
»Na, die hat ihn bestimmt zerrissen, wenn ein Gefängnisstempel drauf war. Was stand denn drin?«
»Dass er Sie gern hat.«
Danny prustete spöttisch. »Er weiß ja nicht mal, wie ich aussehe.«
»Hm«, stimmte ich zu.
»Wahrscheinlich hatte er ein schlechtes Gewissen, weil er uns im Stich gelassen hatte.«
»Hm«, sagte ich wieder.
Danny runzelte die Stirn. »Was hat Michael sonst noch erzählt?«
»Dass Sie als Kind mal einen gebrochenen Arm hatten. Erinnern Sie sich daran?«
Er warf unwillkürlich einen Blick auf seine rechte Hand. »Düster, ja. Ich weiß, dass ich mal einen Gips hatte, aber ich dachte, es hätte mit meinem Handgelenk zu tun. Das tut mir manchmal
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